Beobachtung: Sabeth Wiese
Inside BWL
SEP 2022
Auf die Frage, wie es sich anfühlt als Designerin BWL zu studieren, ist meine Antwort meistens: Für mich fühlt sich die BWL in ihrer pragmatischen Banalität exotisch an. Sie ist eine Disziplin, die vollkommen davon überzeugt ist, dass jede Person ihre Notwendigkeit erkennt. Eine Disziplin, die nie an sich zweifelt, weil für sie eindeutig ist: sie ist überall. In die Bereiche, in die Effizienz und Geld nicht vordringen, reichen trotzdem die Themen der Kommunikation und Zusammenarbeit.
Während meine Faszination nach drei Semestern inklusive Steuerrecht, Zinsrechnung und Fixkosten-Degression langsam abebbt, frage ich mich, wie dieses Studium meinen Blick auf das Design verändert. Insbesondere im letzten Semester ertappe ich mich immer wieder bei der ketzerischen Frage, ob da wirklich mehr als das hungrige Geltungsbedürfnis aus den Designer:innen spricht, wenn sie glauben die Organisationen, die Unternehmen würden sie dringend brauchen. Ganz im Ernst, sind Designer:innen wirklich Anwälte der Kund:innen? Sind es wirklich Designer:innen, die gebraucht werden, um ganzheitlich stimmige Kundenerlebnisse zu schaffen? Könnten BWLer:innen und andere diese Perspektive nicht in Kürze erlernen?
Denn den hehren Ansprüchen von Design zum Trotz: sehr viele Designer:innen denken ja doch nur begrenzt aus der Perspektive der Kund:innen. Und das ist nicht unbedingt ein Makel! Ob Möbel, Print, oder Websites (ich wünschte, ich könnte das öfter über Apps sagen): das Ergebnis ist oft ästhetisch anspruchsvoller, wenn der Prozess stärker concept-centered als human-centered war. Und es ist vermutlich die starke Zersplitterung in einzelne Designaufgaben und Professionen, unter der das Gespür der Designer:innen für ganzheitliche Kundenerlebnisse leidet.
Was meinen Zweifeln am Design gegenübersteht ist jedoch die Erfahrung: zumindest im BWL-Studium an der TH Köln wird den Studierenden jeglicher Blick für das große Ganze abgewöhnt. Der unbedingte Wunsch nach Objektivität, Reproduzierbarkeit und Verargumentierbarkeit führt zu einer Zersplitterung von Marken, Produkten und Erlebnissen in 1.000 Einzelmethoden, Instrumente, Probleme und Begriffe. Marketing wird vermittelt über die einzelnen Instrumente, die wiederum aus Einzelinstrumenten bestehen, bis zu dem Punkt, an dem wir Studierende uns fühlen als würden wir ein Lexikon auswendig lernen. Das interne Rechnungswesen bietet allerlei alternative Vorgehensweisen, um Kosten und Preise zu kalkulieren. Im externen Rechnungswesen arbeitet man sich an den einzelnen Bausteinen eines Jahresabschlusses entlang, die Fähigkeit zur Interpretation eines gesamten Jahresabschlusses wird wohl im Anschluss als gegeben angesehen. (Ist sie natürlich nicht, Bulemie-Lernen sei Dank.) Und auch in den anderen Fächern geht es nach dem gleichen Prinzip immer weiter: Bausteine, Puzzleteile, Fragmente, kein Bigger Picture weit und breit.
Und mit Blick auf diese Fixierung auf Instrumente und Methoden – nicht nur in der BWL, sondern in vielen Disziplinen – habe ich dann doch den Eindruck, dass Design gebraucht wird. Dass Designer:innen eine ganz besondere Kombination von Fähigkeiten haben: die Fähigkeit eine Sache ganzheitlich vom Ende her zu denken, die Fähigkeit den Weg der Intuition gehen zu können und zu wollen, und die Fähigkeit zwar oft eigentlich keine Ahnung vom Thema zu haben, aber sich in alles einarbeiten zu können.
Das macht sie zu Jokern in Sachen Interdisziplinarität (mit allen Vorteilen, die Interdisziplinarität mit sich bringt) und zu leidenschaftlichen Anwälten ganzheitlicher und interessanter Produkte, Konzepte und Visionen. Doch ich befürchte, das funktioniert nur unter zwei Bedingungen: Designer:innen müssen sich trauen anders zu bleiben. Das gilt vor allem für Designer:innen, die strategisch arbeiten oder in großen Organisationen. Assimilieren sie sich zu sehr in ihrem Denken und in ihren Prozessen, verlieren sie die frische Perspektive der Interdisziplinarität. Beugen sie sich zu sehr dem Druck der Reproduzierbarkeit, verlieren sie zugunsten der Methodisierung des Designprozesses die Fähigkeit, schnelle sinnhafte Entscheidungen auf Basis geschulter Intuition zu treffen. Meine Erfahrung an mir selbst ist, dass ich durch die Methodisierung von Design meine Intuition verlerne, so, wie durch das andauernde Fahren mit Navi meinen guten Orientierungssinn.
Außerdem können Designer:innen ihre besonderen Fähigkeiten nur erhalten, wenn sie in Kontexten arbeiten, die ihnen erlauben sich stets mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Der Preis, den Organisationen dafür zahlen, ist natürlich der Verzicht auf Effizienzgewinne, die dadurch entstehen, dass Designer:innen in den immer gleichen Themengebieten und als Experten für Fragmente arbeiten. Doch wie soll man sich einen frischen Blick für das große Ganze erhalten, wenn man jahrelang Ceran-Kochfelder oder immer neue Details der gleichen App gestaltet?
Damit stelle ich Ansprüche an das Designumfeld, die leider oft nicht umsetzbar sind. Dort gibt es im schlimmsten Fall Kreativität aus der Dose und Gestalter:innen in der Rolle von Formgebungsrobotern. Doch wo Design seine Freiheiten erhält, lässt es sich sicher nicht so schnell ersetzen.
BODY OF KNOWLEDGE
Jonathan Aldred: Der korrumpierte Mensch
Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens
Die Empfehlung ist ein kleines bisschen off topic, denn das Buch beschäftigt sich eigentlich mit dem Ursprung liberaler beziehungsweise neoliberaler Überzeugungen. Um das zu ergründen, folgt Jonathan Aldred der Entwicklung der modernen Wirtschaftswissenschaften. Interessant für Designer:innen ist aber: Wirtschaft ist eine kaum ältere Disziplin als Design und litt ebenfalls unter dem Minderwertigkeitskomplex, mehr Praxis als Wissenschaft zu sein. Das Buch gibt einen Einblick, wie die Wirtschaftswissenschaft plötzlich attraktiv geworden ist für Mathematiker, was dazu geführt hat, dass sie heute so stark von Modellen und statistischer Forschung geprägt ist.
Beobachtung: Sabeth Wiese
Inside BWL
SEP 2022
Auf die Frage, wie es sich anfühlt als Designerin BWL zu studieren, ist meine Antwort meistens: Für mich fühlt sich die BWL in ihrer pragmatischen Banalität exotisch an. Sie ist eine Disziplin, die vollkommen davon überzeugt ist, dass jede Person ihre Notwendigkeit erkennt. Eine Disziplin, die nie an sich zweifelt, weil für sie eindeutig ist: sie ist überall. In die Bereiche, in die Effizienz und Geld nicht vordringen, reichen trotzdem die Themen der Kommunikation und Zusammenarbeit.
Während meine Faszination nach drei Semestern inklusive Steuerrecht, Zinsrechnung und Fixkosten-Degression langsam abebbt, frage ich mich, wie dieses Studium meinen Blick auf das Design verändert. Insbesondere im letzten Semester ertappe ich mich immer wieder bei der ketzerischen Frage, ob da wirklich mehr als das hungrige Geltungsbedürfnis aus den Designer:innen spricht, wenn sie glauben die Organisationen, die Unternehmen würden sie dringend brauchen. Ganz im Ernst, sind Designer:innen wirklich Anwälte der Kund:innen? Sind es wirklich Designer:innen, die gebraucht werden, um ganzheitlich stimmige Kundenerlebnisse zu schaffen? Könnten BWLer:innen und andere diese Perspektive nicht in Kürze erlernen?
Denn den hehren Ansprüchen von Design zum Trotz: sehr viele Designer:innen denken ja doch nur begrenzt aus der Perspektive der Kund:innen. Und das ist nicht unbedingt ein Makel! Ob Möbel, Print, oder Websites (ich wünschte, ich könnte das öfter über Apps sagen): das Ergebnis ist oft ästhetisch anspruchsvoller, wenn der Prozess stärker concept-centered als human-centered war. Und es ist vermutlich die starke Zersplitterung in einzelne Designaufgaben und Professionen, unter der das Gespür der Designer:innen für ganzheitliche Kundenerlebnisse leidet.
Was meinen Zweifeln am Design gegenübersteht ist jedoch die Erfahrung: zumindest im BWL-Studium an der TH Köln wird den Studierenden jeglicher Blick für das große Ganze abgewöhnt. Der unbedingte Wunsch nach Objektivität, Reproduzierbarkeit und Verargumentierbarkeit führt zu einer Zersplitterung von Marken, Produkten und Erlebnissen in 1.000 Einzelmethoden, Instrumente, Probleme und Begriffe. Marketing wird vermittelt über die einzelnen Instrumente, die wiederum aus Einzelinstrumenten bestehen, bis zu dem Punkt, an dem wir Studierende uns fühlen als würden wir ein Lexikon auswendig lernen. Das interne Rechnungswesen bietet allerlei alternative Vorgehensweisen, um Kosten und Preise zu kalkulieren. Im externen Rechnungswesen arbeitet man sich an den einzelnen Bausteinen eines Jahresabschlusses entlang, die Fähigkeit zur Interpretation eines gesamten Jahresabschlusses wird wohl im Anschluss als gegeben angesehen. (Ist sie natürlich nicht, Bulemie-Lernen sei Dank.) Und auch in den anderen Fächern geht es nach dem gleichen Prinzip immer weiter: Bausteine, Puzzleteile, Fragmente, kein Bigger Picture weit und breit.
Und mit Blick auf diese Fixierung auf Instrumente und Methoden – nicht nur in der BWL, sondern in vielen Disziplinen – habe ich dann doch den Eindruck, dass Design gebraucht wird. Dass Designer:innen eine ganz besondere Kombination von Fähigkeiten haben: die Fähigkeit eine Sache ganzheitlich vom Ende her zu denken, die Fähigkeit den Weg der Intuition gehen zu können und zu wollen, und die Fähigkeit zwar oft eigentlich keine Ahnung vom Thema zu haben, aber sich in alles einarbeiten zu können.
Das macht sie zu Jokern in Sachen Interdisziplinarität (mit allen Vorteilen, die Interdisziplinarität mit sich bringt) und zu leidenschaftlichen Anwälten ganzheitlicher und interessanter Produkte, Konzepte und Visionen. Doch ich befürchte, das funktioniert nur unter zwei Bedingungen: Designer:innen müssen sich trauen anders zu bleiben. Das gilt vor allem für Designer:innen, die strategisch arbeiten oder in großen Organisationen. Assimilieren sie sich zu sehr in ihrem Denken und in ihren Prozessen, verlieren sie die frische Perspektive der Interdisziplinarität. Beugen sie sich zu sehr dem Druck der Reproduzierbarkeit, verlieren sie zugunsten der Methodisierung des Designprozesses die Fähigkeit, schnelle sinnhafte Entscheidungen auf Basis geschulter Intuition zu treffen. Meine Erfahrung an mir selbst ist, dass ich durch die Methodisierung von Design meine Intuition verlerne, so, wie durch das andauernde Fahren mit Navi meinen guten Orientierungssinn.
Außerdem können Designer:innen ihre besonderen Fähigkeiten nur erhalten, wenn sie in Kontexten arbeiten, die ihnen erlauben sich stets mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Der Preis, den Organisationen dafür zahlen, ist natürlich der Verzicht auf Effizienzgewinne, die dadurch entstehen, dass Designer:innen in den immer gleichen Themengebieten und als Experten für Fragmente arbeiten. Doch wie soll man sich einen frischen Blick für das große Ganze erhalten, wenn man jahrelang Ceran-Kochfelder oder immer neue Details der gleichen App gestaltet?
Damit stelle ich Ansprüche an das Designumfeld, die leider oft nicht umsetzbar sind. Dort gibt es im schlimmsten Fall Kreativität aus der Dose und Gestalter:innen in der Rolle von Formgebungsrobotern. Doch wo Design seine Freiheiten erhält, lässt es sich sicher nicht so schnell ersetzen.
BODY OF KNOWLEDGE
Jonathan Aldred: Der korrumpierte Mensch
Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens
Die Empfehlung ist ein kleines bisschen off topic, denn das Buch beschäftigt sich eigentlich mit dem Ursprung liberaler beziehungsweise neoliberaler Überzeugungen. Um das zu ergründen, folgt Jonathan Aldred der Entwicklung der modernen Wirtschaftswissenschaften. Interessant für Designer:innen ist aber: Wirtschaft ist eine kaum ältere Disziplin als Design und litt ebenfalls unter dem Minderwertigkeitskomplex, mehr Praxis als Wissenschaft zu sein. Das Buch gibt einen Einblick, wie die Wirtschaftswissenschaft plötzlich attraktiv geworden ist für Mathematiker, was dazu geführt hat, dass sie heute so stark von Modellen und statistischer Forschung geprägt ist.
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