Projekt: Simon Schmalhorst
Umwandlungen.
Kommunikation und Gestaltung mit einem Insekt
MÄR 2022
Papierfischchen (Ctenolepisma longicaudata) sind Insekten, die durch den Menschen weltweit verbreitet sind und bisher ausschließlich innerhalb oder in der Nähe menschlicher Behausungen nachgewiesen wurden. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet ist bis heute unbekannt. Weil sie im Stande sind, sich von Papier zu ernähren und dadurch von Menschen hergestellte Dinge zerstören können, gelten sie als Schädlinge und werden als solche bekämpft. Sie leben in enger Abhängigkeit vom Menschen und entziehen sich gleichzeitig seiner Kontrolle. Sie verkörpern ein Stück Natur, das sich trotz menschlicher Bemühungen nach Sterilität in unseren Wohnräumen verbreitet und unsere Ordnung stört. Dabei gehört ihre Art zur Gruppe der flügellosen Insekten, deren Ursprung vermutlich bis zu 300 Millionen Jahre in die Vergangenheit reicht.
In Zusammenarbeit mit dem Biologen Bill Landsberger und dem Rathgen-Forschungslabor in Berlin untersuchte ich das Fressverhalten von Papierfischchen sowie deren Vorlieben für bestimmte Farbmittel oder Papiersorten. Dazu gestaltete ich Grafiken, die die Fraßspuren der Tiere und mögliche Präferenzen leicht sichtbar machen. Die jeweiligen Reaktionen der Tiere auf eine Testreihe bedingten wiederum die Gestaltung der darauf folgenden Reihe. Ich beeinflusste zwar ihr Verhalten durch die Farbgebung auf meinen Drucken, aber gleichzeitig bestimmten sie durch ihr Verhalten meine Gestaltung. Es entstand ein wechselseitiger Prozess, ein Dialog durch grafische Mittel, zwischen den Tieren und mir als Menschen.
Die Umwandlung der Drucke durch die Tiere wird zum elementaren Bestandteil des Gestaltungsprozesses. Dabei wandeln sich die Schädlinge zu Mit-Erzeugern, anstatt zu Zerstörern dieser Werke. Der Begriff des Schädlings ist ohnehin rein anthropozentrisch geprägt. Aus der Perspektive der meisten Lebewesen müssten wir Menschen als größter Schädling gelten.
ANHANG
Simon Schmalhorst ist ein in Berlin ansässiger Designer, der Auftragsarbeiten im Bereich Grafikdesign, wie Bücher, Poster oder Webseiten macht und zusammen mit Tobias Grothues Projekte im Bereich Innenarchitektur umsetzt, darunter Küchen oder Möbel.
Daneben arbeitet er an selbst initiierten Projekten, bei denen er die Grenzen zwischen Design, Kunst und Handwerk auslotet.
Dieses Projekt entstand als Diplomarbeit am Fachbereich Gestaltung der Hochschule Darmstadt unter der Betreuung von Prof. Frank Philippin.
Papierfischchen
Das Papierfischchen (lat. Ctenolepisma longicaudata) ist ein Insekt aus der Familie der Schuppenfischchen (lat. Lepismatidae). Es ist eng verwandt mit den uns bekannten Silberfischchen. Beide gehören der Gruppe der „flügellosen Insekten“ oder „Urinsekten“ an, die unseren Planeten seit vermutlich über 300 Millionen Jahren besiedeln. Papierfischchen erreichen eine Körperlänge von 11 bis 15 Millimeter, daran schließen am Kopfende noch zwei lange Antennen und an der Hinterseite des Körpers drei ebenfalls sehr lange, borstenartige Schwanzanhänge an. → Wikipedia Die Larven entwickeln sich innerhalb von drei Jahren, geschlechtsreife Papierfischchen leben noch zwei bis drei weitere Jahre. Die Tiere bevorzugen Temperaturen von über 20 Grad Celcius sowie eine relative Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent, weshalb unser Wohnraumklima ideale Lebensbedingungen für sie bietet. Als Nahrung dienen stärke- und zuckerhaltige Materialien jeglicher Art. Sie gehören zu einer der wenigen Insektenarten, die die Fähigkeit besitzen, Zellulosefasern zu Zucker aufzuspalten und zu verdauen. Damit sind sie im Stande sich von gewöhnlichem Papier und Kartonage zu ernähren. Flüssigkeit können sie, falls nötig, durch die Luft über ihren Darm aufnehmen. Bis zu 300 Tage halten sie es auch gänzlich ohne Nahrung aus. (Bill Landsberger und Pascal Querner (2017): Neuer Materialschädling in der Kulturlandschaft. Restauro 02/2017.)
Bedingt durch diese relative Anspruchlosigkeit ihrer Nahrungsquelle und ihres bevorzugten Lebensraum-Klimas haben sich die Tiere in menschlichen Behausungen weltweit verbreitet. Damit handelt es sich um eine synanthrope Art, die in Begleitung des Menschen auftritt. In der freien Natur wurden sie bisher nicht nachgewiesen. Papierfischchen gelten im Gegensatz zu Silberfischchen offiziell als Schädlinge, da sie Papier und damit auch wichtige Informationen und Kulturgüter fressen können. In Museen und Archiven stellen deshalb eine potentielle Gefahr dar.
Aus den Ergebnissen meiner Versuche kann ich allerdings sagen, dass ein einzelnes Tier vermutlich Jahre bräuchte, um ein normales DinA4 Kopierpapier komplett aufzufressen. Selbst mehrere hundert Tiere hinterließen auf unseren Testdrucken nach über einer Woche lediglich abgeschabte Flächen auf den Papieren. Papierfischchen treten nicht im Schwarm auf, sondern sind Einzelgänger, die größtmöglichen Abstand zu ihren Artgenossen halten. Diese Verteilung der Tiere hat allerdings auch zur Folge, dass ein Befall oft erst nach vielen Jahren festgestellt wird. Innerhalb solcher Zeiträume ist es durchaus möglich, dass die Tiere an bestimmten Stellen signifikanten Schaden anrichten können.
Während meiner Arbeit mit den Tieren ist mir außerdem ihr Bedürfnis nach Rückzugsorten, wie zum Beispiel in Ritzen und Spalten, aufgefallen. Auf einer offenen Fläche sterben sie nach wenigen Tagen an Stress. Darüber hinaus haben unsere Versuche gezeigt, dass die Tiere es überhaupt nicht mögen, Papier zu fressen, das ganz flach auf einer Oberfläche liegt. Viel lieber fressen sie dieses, falls genügend Platz vorhanden ist, von unten an und bewegen sich vorzugsweise an der geschützten Unterseite .Papier, das „aufrecht dasteht“, wie zum Beipiel Bücher, wird ebenfalls gerne gefressen.
Experimente
Über den Biologen Bill Landsberger, der im Rathgen Forschungslabor in Berlin für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz an Schädlingen und deren Vermeidung im musealen Bereichen forscht, konnte ich Zugang zu Papierfischchen erlangen. Für Versuchszwecke an dieser noch relativ unerforschten Art hat sich Herr Landsberger eine Population von mehr als tausend Tieren herangezüchtet. Es stellte sich heraus, dass er schon mit einem ersten Versuch getestet hatte, wie die Tiere auf bestimmte Druckfarben reagieren bzw. ob die Tiere Farbstoffe unterscheiden können. Darüber hinaus hatte er auch schon ermittelt, dass die Tiere säurefreies gegenüber säurehaltigem Papier als Nahrungsquelle bevorzugen.
Mein Ziel war es, die Tiere durch bestimmte Druckfarben steuern zu können. Herr Landsberger war zusätzlich daran interessiert, Informationen an Museen und Archive herausgeben zu können, welche Druckfarben von den Tieren vor allem nicht zerfressen werden. Dies wäre bespielsweise für die Beschriftungen in Archiven ein sehr nützliches Wissen.
Wir teilten die Fischchen-Population in fünf Kisten mit jeweils mehreren hundert Tieren auf und deponierten zeitgleich verschiedene Testdrucke im Format DinA6 in diesen Kisten. Nach einem bestimmten Zeitraum, meistens um die 10 Tage, verglichen wir die Fraßspuren an den Testdrucken miteinander. Zunächst bestimmten wir ein Papier, das die Tiere bevorzugt fressen und das sich auf verschiedenste Weisen gut bedrucken lässt. Munken Pure 150g/cm2 war bei den Tieren sehr beliebt und wurde zu unserem Testpapier. Ich gestaltete ein Testbild, das aus vielen kleinen Quadraten der CMYK farben und ihren ersten Mischtönen bestand. Dieses Testbild druckte ich mit einem Laserdrucker, einem Fotoplotter (Tintenstrahl), über Nyloprint mit Offsetfarben, einem Risodrucker und mit Siebdruck. Die meisten Farben interessierten die Tiere nicht besonders. Auffällig gerne fraßen sie die Farben des Riso Druckers, was vermutlich an der rein biologischen Zusammensetzung dieser Farben und am beinhalteten Soja-Öl liegt. Außerdem stellte sich heraus, dass sie ausschließlich den Cyan Ton des Ricoh C7100 Laserdruckers gegenüber den anderen Farben des Druckers sehr gerne verzehrten. Neben diesen Farbpräferenzen konnten wir ermitteln, dass Flächen mit geringerem Farbauftrag gegenüber Flächen mit hohem Farbauftrag bevorzugt werden. Dies lässt die Vermutung zu, dass Farbe für die Tiere in den meisten Fällen keine Nahrung darstellt, sondern dem Papier als Nahrung lediglich im Wege steht. Dort, wo der Farbauftrag geringer ist, kommen die Tiere beim Fressen schneller ans Papier, weshalb dort vermehrt gefressen wird. In weiteren Testdrucken arbeitete ich ausschließlich mit Laserdrucken des Ricoh C7100 und versuchte, die Cyan Vorliebe sowie das Verhalten den Tiere bei verschiedenem Farbauftrag genauer auszuloten. Mit diesem Wissen waren wir schließlich imstande, die Stellen, an denen die Tiere fressen sollten, relativ gezielt zu steuern.
Gestaltung
Die Drucke, die ich den Tieren zum Fressen gab, versuchte ich in erster Linie so zu gestalten, dass mögliche Reaktionen der Tiere differenziert zu erkennen sind. Der Nutzen für meine Versuchsreihen war dementsprechend wichtiger als ästhetische Kriterien und bestimmte die Gestalt der Drucke maßgeblich. Zwischenzeitlich dachte ich immer wieder über komplexere Motive und Abbildungen nach, die ich den Tieren verfüttern könnte. Allerdings sind solche Motive immer inhaltlich in irgendeiner Form aufgeladen. Würde ich den Tieren ein Bild von Angela Merkel verfüttern, würde es inhaltlich um Angela Merkel gehen. Die Tiere würden dann zu reinen Zerstörern, die symbolisch für irgendwelche Feinde von Angela Merkel stehen. Die Tiere selbst und ihr Verhalten wäre nur Mittel zum Zweck, aber nicht mehr Thema der Arbeit. Genauso verhält es sich, wenn ich selbst ausgefallenere Motive kreieren würde – dann würde meine eigene Gestaltung den Tieren „die Show stehlen“. Dementsprechend bemühte ich mich darum, mein gestalterisches Eingreifen sehr dezent zu halten.
Neben der Gestaltung der Versuchsreihen und anderen zweidimensionalen Entwürfen entwickelte ich mehrere dreidimensionale Modelle, die den Tieren auch als Nahrung, aber vor allem als Rückzugsort oder als eine Art von Behausung dienen sollten. Auch hier war Gestaltung Mittel zum Zweck und die Formen ergaben sich von selbst. Mein Ziel war es Räume zu schaffen, in denen die Tiere in einer Ausstellung gezeigt werden könnten. Die Schwierigkeit bestand dabei darin, einen Körper zu entwerfen, der den Tieren als Rückzugsort dient, sie aber gleichzeitg von Außen noch sichtbar macht.
Projekt: Simon Schmalhorst
Umwandlungen.
Kommunikation und Gestaltung mit einem Insekt
MÄR 2022
Papierfischchen (Ctenolepisma longicaudata) sind Insekten, die durch den Menschen weltweit verbreitet sind und bisher ausschließlich innerhalb oder in der Nähe menschlicher Behausungen nachgewiesen wurden. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet ist bis heute unbekannt. Weil sie im Stande sind, sich von Papier zu ernähren und dadurch von Menschen hergestellte Dinge zerstören können, gelten sie als Schädlinge und werden als solche bekämpft. Sie leben in enger Abhängigkeit vom Menschen und entziehen sich gleichzeitig seiner Kontrolle. Sie verkörpern ein Stück Natur, das sich trotz menschlicher Bemühungen nach Sterilität in unseren Wohnräumen verbreitet und unsere Ordnung stört. Dabei gehört ihre Art zur Gruppe der flügellosen Insekten, deren Ursprung vermutlich bis zu 300 Millionen Jahre in die Vergangenheit reicht.
In Zusammenarbeit mit dem Biologen Bill Landsberger und dem Rathgen-Forschungslabor in Berlin untersuchte ich das Fressverhalten von Papierfischchen sowie deren Vorlieben für bestimmte Farbmittel oder Papiersorten. Dazu gestaltete ich Grafiken, die die Fraßspuren der Tiere und mögliche Präferenzen leicht sichtbar machen. Die jeweiligen Reaktionen der Tiere auf eine Testreihe bedingten wiederum die Gestaltung der darauf folgenden Reihe. Ich beeinflusste zwar ihr Verhalten durch die Farbgebung auf meinen Drucken, aber gleichzeitig bestimmten sie durch ihr Verhalten meine Gestaltung. Es entstand ein wechselseitiger Prozess, ein Dialog durch grafische Mittel, zwischen den Tieren und mir als Menschen.
Die Umwandlung der Drucke durch die Tiere wird zum elementaren Bestandteil des Gestaltungsprozesses. Dabei wandeln sich die Schädlinge zu Mit-Erzeugern, anstatt zu Zerstörern dieser Werke. Der Begriff des Schädlings ist ohnehin rein anthropozentrisch geprägt. Aus der Perspektive der meisten Lebewesen müssten wir Menschen als größter Schädling gelten.
ANHANG
Simon Schmalhorst ist ein in Berlin ansässiger Designer, der Auftragsarbeiten im Bereich Grafikdesign, wie Bücher, Poster oder Webseiten macht und zusammen mit Tobias Grothues Projekte im Bereich Innenarchitektur umsetzt, darunter Küchen oder Möbel.
Daneben arbeitet er an selbst initiierten Projekten, bei denen er die Grenzen zwischen Design, Kunst und Handwerk auslotet.
Dieses Projekt entstand als Diplomarbeit am Fachbereich Gestaltung der Hochschule Darmstadt unter der Betreuung von Prof. Frank Philippin.
Papierfischchen
Das Papierfischchen (lat. Ctenolepisma longicaudata) ist ein Insekt aus der Familie der Schuppenfischchen (lat. Lepismatidae). Es ist eng verwandt mit den uns bekannten Silberfischchen. Beide gehören der Gruppe der „flügellosen Insekten“ oder „Urinsekten“ an, die unseren Planeten seit vermutlich über 300 Millionen Jahren besiedeln. Papierfischchen erreichen eine Körperlänge von 11 bis 15 Millimeter, daran schließen am Kopfende noch zwei lange Antennen und an der Hinterseite des Körpers drei ebenfalls sehr lange, borstenartige Schwanzanhänge an. → Wikipedia Die Larven entwickeln sich innerhalb von drei Jahren, geschlechtsreife Papierfischchen leben noch zwei bis drei weitere Jahre. Die Tiere bevorzugen Temperaturen von über 20 Grad Celcius sowie eine relative Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent, weshalb unser Wohnraumklima ideale Lebensbedingungen für sie bietet. Als Nahrung dienen stärke- und zuckerhaltige Materialien jeglicher Art. Sie gehören zu einer der wenigen Insektenarten, die die Fähigkeit besitzen, Zellulosefasern zu Zucker aufzuspalten und zu verdauen. Damit sind sie im Stande sich von gewöhnlichem Papier und Kartonage zu ernähren. Flüssigkeit können sie, falls nötig, durch die Luft über ihren Darm aufnehmen. Bis zu 300 Tage halten sie es auch gänzlich ohne Nahrung aus. (Bill Landsberger und Pascal Querner (2017): Neuer Materialschädling in der Kulturlandschaft. Restauro 02/2017.)
Bedingt durch diese relative Anspruchlosigkeit ihrer Nahrungsquelle und ihres bevorzugten Lebensraum-Klimas haben sich die Tiere in menschlichen Behausungen weltweit verbreitet. Damit handelt es sich um eine synanthrope Art, die in Begleitung des Menschen auftritt. In der freien Natur wurden sie bisher nicht nachgewiesen. Papierfischchen gelten im Gegensatz zu Silberfischchen offiziell als Schädlinge, da sie Papier und damit auch wichtige Informationen und Kulturgüter fressen können. In Museen und Archiven stellen deshalb eine potentielle Gefahr dar.
Aus den Ergebnissen meiner Versuche kann ich allerdings sagen, dass ein einzelnes Tier vermutlich Jahre bräuchte, um ein normales DinA4 Kopierpapier komplett aufzufressen. Selbst mehrere hundert Tiere hinterließen auf unseren Testdrucken nach über einer Woche lediglich abgeschabte Flächen auf den Papieren. Papierfischchen treten nicht im Schwarm auf, sondern sind Einzelgänger, die größtmöglichen Abstand zu ihren Artgenossen halten. Diese Verteilung der Tiere hat allerdings auch zur Folge, dass ein Befall oft erst nach vielen Jahren festgestellt wird. Innerhalb solcher Zeiträume ist es durchaus möglich, dass die Tiere an bestimmten Stellen signifikanten Schaden anrichten können.
Während meiner Arbeit mit den Tieren ist mir außerdem ihr Bedürfnis nach Rückzugsorten, wie zum Beispiel in Ritzen und Spalten, aufgefallen. Auf einer offenen Fläche sterben sie nach wenigen Tagen an Stress. Darüber hinaus haben unsere Versuche gezeigt, dass die Tiere es überhaupt nicht mögen, Papier zu fressen, das ganz flach auf einer Oberfläche liegt. Viel lieber fressen sie dieses, falls genügend Platz vorhanden ist, von unten an und bewegen sich vorzugsweise an der geschützten Unterseite .Papier, das „aufrecht dasteht“, wie zum Beipiel Bücher, wird ebenfalls gerne gefressen.
Experimente
Über den Biologen Bill Landsberger, der im Rathgen Forschungslabor in Berlin für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz an Schädlingen und deren Vermeidung im musealen Bereichen forscht, konnte ich Zugang zu Papierfischchen erlangen. Für Versuchszwecke an dieser noch relativ unerforschten Art hat sich Herr Landsberger eine Population von mehr als tausend Tieren herangezüchtet. Es stellte sich heraus, dass er schon mit einem ersten Versuch getestet hatte, wie die Tiere auf bestimmte Druckfarben reagieren bzw. ob die Tiere Farbstoffe unterscheiden können. Darüber hinaus hatte er auch schon ermittelt, dass die Tiere säurefreies gegenüber säurehaltigem Papier als Nahrungsquelle bevorzugen.
Mein Ziel war es, die Tiere durch bestimmte Druckfarben steuern zu können. Herr Landsberger war zusätzlich daran interessiert, Informationen an Museen und Archive herausgeben zu können, welche Druckfarben von den Tieren vor allem nicht zerfressen werden. Dies wäre bespielsweise für die Beschriftungen in Archiven ein sehr nützliches Wissen.
Wir teilten die Fischchen-Population in fünf Kisten mit jeweils mehreren hundert Tieren auf und deponierten zeitgleich verschiedene Testdrucke im Format DinA6 in diesen Kisten. Nach einem bestimmten Zeitraum, meistens um die 10 Tage, verglichen wir die Fraßspuren an den Testdrucken miteinander. Zunächst bestimmten wir ein Papier, das die Tiere bevorzugt fressen und das sich auf verschiedenste Weisen gut bedrucken lässt. Munken Pure 150g/cm2 war bei den Tieren sehr beliebt und wurde zu unserem Testpapier. Ich gestaltete ein Testbild, das aus vielen kleinen Quadraten der CMYK farben und ihren ersten Mischtönen bestand. Dieses Testbild druckte ich mit einem Laserdrucker, einem Fotoplotter (Tintenstrahl), über Nyloprint mit Offsetfarben, einem Risodrucker und mit Siebdruck. Die meisten Farben interessierten die Tiere nicht besonders. Auffällig gerne fraßen sie die Farben des Riso Druckers, was vermutlich an der rein biologischen Zusammensetzung dieser Farben und am beinhalteten Soja-Öl liegt. Außerdem stellte sich heraus, dass sie ausschließlich den Cyan Ton des Ricoh C7100 Laserdruckers gegenüber den anderen Farben des Druckers sehr gerne verzehrten. Neben diesen Farbpräferenzen konnten wir ermitteln, dass Flächen mit geringerem Farbauftrag gegenüber Flächen mit hohem Farbauftrag bevorzugt werden. Dies lässt die Vermutung zu, dass Farbe für die Tiere in den meisten Fällen keine Nahrung darstellt, sondern dem Papier als Nahrung lediglich im Wege steht. Dort, wo der Farbauftrag geringer ist, kommen die Tiere beim Fressen schneller ans Papier, weshalb dort vermehrt gefressen wird. In weiteren Testdrucken arbeitete ich ausschließlich mit Laserdrucken des Ricoh C7100 und versuchte, die Cyan Vorliebe sowie das Verhalten den Tiere bei verschiedenem Farbauftrag genauer auszuloten. Mit diesem Wissen waren wir schließlich imstande, die Stellen, an denen die Tiere fressen sollten, relativ gezielt zu steuern.
Gestaltung
Die Drucke, die ich den Tieren zum Fressen gab, versuchte ich in erster Linie so zu gestalten, dass mögliche Reaktionen der Tiere differenziert zu erkennen sind. Der Nutzen für meine Versuchsreihen war dementsprechend wichtiger als ästhetische Kriterien und bestimmte die Gestalt der Drucke maßgeblich. Zwischenzeitlich dachte ich immer wieder über komplexere Motive und Abbildungen nach, die ich den Tieren verfüttern könnte. Allerdings sind solche Motive immer inhaltlich in irgendeiner Form aufgeladen. Würde ich den Tieren ein Bild von Angela Merkel verfüttern, würde es inhaltlich um Angela Merkel gehen. Die Tiere würden dann zu reinen Zerstörern, die symbolisch für irgendwelche Feinde von Angela Merkel stehen. Die Tiere selbst und ihr Verhalten wäre nur Mittel zum Zweck, aber nicht mehr Thema der Arbeit. Genauso verhält es sich, wenn ich selbst ausgefallenere Motive kreieren würde – dann würde meine eigene Gestaltung den Tieren „die Show stehlen“. Dementsprechend bemühte ich mich darum, mein gestalterisches Eingreifen sehr dezent zu halten.
Neben der Gestaltung der Versuchsreihen und anderen zweidimensionalen Entwürfen entwickelte ich mehrere dreidimensionale Modelle, die den Tieren auch als Nahrung, aber vor allem als Rückzugsort oder als eine Art von Behausung dienen sollten. Auch hier war Gestaltung Mittel zum Zweck und die Formen ergaben sich von selbst. Mein Ziel war es Räume zu schaffen, in denen die Tiere in einer Ausstellung gezeigt werden könnten. Die Schwierigkeit bestand dabei darin, einen Körper zu entwerfen, der den Tieren als Rückzugsort dient, sie aber gleichzeitg von Außen noch sichtbar macht.
ABOUT US GESTALT ERROR 409
BEOBACHTUNG Erfahrungsbericht VW in Wolfsburg 409
USE »Atemberaubend, oder?« Eine Apple Vision Pro Rezension Jakob Nonnen
ESSAY Extended Creativity: a Human Centered Approach to Working with AI Felix Dölker
USE The Curious Case of the TrackPoint ChatGPT & Sabeth Wiese
INTERVIEW Fünf Fragen zu Bibliothekspflanzen Anne Christensen
INTERVIEW Über Theorie und Praxis Prof. Dr. Felix Kosok
USE Traumreise in die Unterwelt Sabeth Wiese
BEOBACHTUNG Erfahrungsbericht Bauhaus Dessau 409
INTERVIEW Fünf Fragen zu Symbiosis – Living together Carl F. Then
INTERVIEW Five Questions on the University of Brighton Design Archives Sue Breakell
READ Backstage Talks Magazine Sabeth Wiese
ESSAY Zu Design und Utopie. Ein essayistisches Plädoyer Fabio Sacher
PROJEKT About Kreativbranche II: unglitched but shit Sabeth Wiese
PROJEKT Scherben Sammeln? Mudlarking Charlotte Bluhme
INTERVIEW Über die Grenzen des Designs Constanze Buckenlei und Marco Kellhammer
BEOBACHTUNG Eva Illouz und die Wurzeln der Experience Sabeth Wiese
ESSAY The Rise of Designforschung – Goodbye Autorendesign? Carl F. Then
USE DB, warum lässt du mich so sitzen? Sabeth Wiese
ESSAY Crypto Aesthetics Johannes Wilke
USE Der geschenkte Wasserfilter Franziska Porsch
READ Geschichte des Designs Carl F. Then
INTERVIEW About Design at Olivetti Pietro Cesari
USE Liebeserklärung an das Mono A Sabeth Wiese
BEOBACHTUNG Erfahrungsbericht Vitra Campus 409
INTERVIEW Fünf Fragen zu Hans "Nick" Roerichts Archiv Viktoria Lea Heinrich
ESSAY Gendered Embodiment through Designed Objects Anis Anais Looalian
BEOBACHTUNG Inside BWL Sabeth Wiese
INTERVIEW Fünf Fragen zu Designmanifesten Prof. Dr. Daniel Hornuff
ZITATE Designliteratur in Zitaten 409
PROJEKT GELD GELD GELD Sabeth Wiese
ILLUSTRATION In Design Limbo Pt.2 Mira Schleinig
WATCH Design is [messy] Carl F. Then
PROJEKT Umwandlungen. Gestaltung mit einem Insekt Simon Schmalhorst
INTERVIEW Über Designliteratur Helge Aszmoneit
READ Wie eine Person zu einem Nutzer wurde Franziska Porsch
PROJEKT Glitched about Kreativbranche Sabeth Wiese
ILLLUSTRATION In Design Limbo Pt.1 Mira Schleinig
READ Artificial Intelligence. A Guide for Thinking Humans Carl F. Then
INFO Newsletter
INFO Datenschutz
INFO Impressum