Beobachtung: Carl Friedrich Then, Sabeth Wiese, Franziska Porsch
Erfahrungsbericht VW in Wolfsburg
SEP 2024
Wir waren mal wieder unterwegs und zwar in Wolfsburg, einer Stadt, deren einziger Existenzgrund wohl Volkswagen war und ist. An einem schönen Aprilwochenende – ja, wir hatten wieder Glück mit dem Wetter – machten wir uns auf den Weg in die niedersächsische Großstadt, mit dem Ziel uns vor allem das VW-Werk sowie die viel gerühmte Autostadt anzuschauen.
Das Werksgelände
VW ist eine der größten deutschen Marken, die es gibt. 672.789 Personen arbeiten für das Unternehmen an den vielen verschiedenen Standorten dieser Welt und machen eine Menge Umsatz. Aber wie tickt eigentlich so ein Unternehmen, wie präsentiert es sich jenseits der Werbung und Darstellung im World Wide Web, und vor allem: Wie inszeniert sich solch ein riesiger Konzern an seinem Hauptsitz? Mit diesen Fragen reisten wir dort an und, um es gleich vorwegzunehmen, vieles war schrecklich enttäuschend.
Beginnen wir mit der Werksführung: Die war nicht nur viel zu kurz für unseren Geschmack, sondern wurde auch noch von einer auslaugend-unauthentisch enthusiastischen PR-Lady geführt, die in ihrer übertrieben positiven Art, nicht ein einziges Mal die Worte “Nazis” und “Zwangsarbeit” über die Lippen brachte. Was angesichts des Fakts, dass es VW ohne die Nazis so nie gegeben hätte, fast schon ein Akt allerhöchster Verdrängungskunst ist – Hitler selbst hat im Mai 1938 den Grundstein des Werks gelegt... Kurz und mit unvollständigen Infos versorgt wurden wir im Eiltempo durch die Hallen gejagt und zwar in einer Art Parkbahn zusammengesetzt aus entdachten VW-Golf-Karosserien. Nirgendwo durften wir auch nur kurz aussteigen und etwas bedächtiger durch diese riesigen Hallen wandeln. Kein Wunder also, dass am Ende der fade Nachgeschmack blieb, dumm-fröhlich abgefrühstückt worden zu sein.
Was wirklich nicht fad ist, ist die unglaubliche Dimension des Geländes. Schon am Eingang war klar, was für ein irres Gelände das ist, so groß, dass es einen weißen Fleck in die Google-Maps-Karte von Wolfsburg frisst, mit Kraftwerk, eigener Fleischerei, Krankenhaus und alles dicht gedrängt mit Autos, Autos, Autos! Dann die alten Werksgebäude von den Nazis mit ihren wohlstrukturierten Fassaden in Dimensionen, die man kaum begreifen kann: 1,3 Kilometer lang, 300 Meter breit. Im Inneren eingebaut die hochmodernen cleanen Anlagen und immer wieder ein verlorener Buchsbaum und eigenartige Wolfsbilder – wohl Überreste einer Aktion a lá „Unser Arbeitsplatz soll schöner werden“.
Trotz allem kann so eine Führung in diesen durch und durch maschinisierten, abnorm riesigen Hallen nur Industriedesign-Porn par exellence sein: Insofern kamen Sabeth und Franziska gar nicht mehr aus dem Schauen und Staunen heraus (während Carl, der Eumel, sein Herz und seinen Verstand leider schon an die Airbus-Werke in Hamburg verloren hat). Das dicht gedrängte Neben- und Übereinander von Anlagen und Förderbändern, vollkommen lächerlich großen Pressen und Stanzen, dem Tanz der Roboterarme und dem entstehenden Sound, der an eine Horde kreischender Affen erinnert, fliegender Funken und des steten Stroms radelnder Techniker, dieses erstaunliche Gemenge aus Stillstand und unmenschlicher Dynamik – das lässt doch Industriedesigner:innen-Herzen höher schlagen!
Die Autostadt
Nachdem wir die Werksführung mit gemischten Gefühlen verließen, waren wir zunächst überrascht von der an das Werk anschließenden Autostadt und dem Park, in der sie liegt. Das Gelände wird von sattgrün geschwungenen Hügeln, terrassierten Wasserflächen und schmalen Brücken strukturiert, in die die Marken-Pavillons eingebettet sind. Auf den Hügeln sind hier und da Kiefern verteilt, die Wasserflächen werden von teilweise, sich scheinbar natürlich ausbreitenden Blumenstreifen aus Tulpen und Wasserlilien eingerahmt. Auf manchen Hügeln stehen Liegestühle, die Besucher:innen auffordern, auch über den Rasen zu schlendern und es sich gemütlich zu machen. Die Gestaltung des Parks ist zwar minimalistisch, wirkt aber keinesfalls artifiziell und lebensfeindlich, wie man es von ostentativ modernen Repräsentationsanlagen kennt. Statt mit seiner Größe zu protzen, werden die Besucher:innen und damit auch wir zum Entdecken des verschachtelten Geländes eingeladen.
In dieser Hinsicht war uns das Gelände sympathisch. Zwar wecken die Kiefern und Karpfen Assoziationen an japanische Gärten, aber die Pflanzen sind heimisch, eine Abstraktion der norddeutschen Landschaft jenseits Wolfsburgs. Die Architektur der Pavillons ist ambitioniert, aber darüber hinaus gibt es keine Skulpturen oder überkandidelten baulichen Elemente, die unnötig von dem Zweiklang aus Garten und Architektur ablenken. Denn überschattet wird die Autostadt ohnehin von dem absurd riesigen Kraftwerk des VW-Werks mit seinen gigantischen Schloten, was der Eleganz der Anlage einen absurden Twist verleiht.
Einer der vielen, wenn auch weniger ambitionierten Pavillons beherbergt das ZeitHaus, in dem Autos aus unterschiedlichen Dekaden gezeigt werden. Mit viel Freude verbrachten wir dort unsere Zeit damit, Etage für Etage immer mehr Schönheiten sowie Absonderlichkeiten zu entdecken. Von absurden Sammlerstücken wie einem genieteten braunen Bugatti bis hin zu den Meilensteinen der (VW-)Automobilgeschichte, wie ein (in den 1980ern gebauter) Kübelwagen oder eben der VW-Käfer. Auch hier stieß, wie eigentlich überall auf dem VW-Gelände, die geschichtsvergessene und undifferenzierte Haltung der Ausstellungsmacher auf. Denn so gut wie gar nichts erinnerte an die Zeit, in der VW entstand. Angeblich gibt es auch eine Gedenkstätte auf dem Gelände. Aber beim besten Willen: Wir haben keinen einzigen Hinweis gefunden, wo sie sich befinden soll.
Meckern über VW, meckern über die Autostadt
Aber wir wären nicht wir, hätten wir nicht doch noch mehr zu meckern. So sattgrün die Hügel auch sind, so deutlich sind eben auch die Rollrasen-Rechtecke zu erkennen, mit denen das Verwelkte ausgebessert wurde. Störender, da größer, sind vor allem die einrahmenden Gebäude der Autostadt – protzige und überdimensionierte Kinder der 2000er. Und obwohl uns das Äußere der Pavillons so überzeugte, langweilten uns die dort präsentierten Ausstellungen, die ohne jegliche Tiefe den einzelnen Marken des VW-Imperiums huldigen sollen. Ausschließlich Audi konnte sich durchringen, etwas über den – für uns natürlich interessanten – Designprozess vorzustellen. Die in den Marken-Pavillons wie in besseren, aber in die Jahre gekommenen Autohäusern ausgestellten Autos haben uns nahezu alle nicht gefallen. Das meiste waren sowieso SUVs, die wohl den Schuss aktueller Debatten nicht gehört haben. Im VW-Pavillon stand nicht mal ein Golf, obwohl das Modell wie kein zweites VW verkörpert. Und in die meisten Autos konnte man sich auch gar nicht reinsetzen… Technik also ohne Anfassen, wie schon in der Werksführung: Was soll einen denn dann überhaupt catchen? Immerhin waren die Mitarbeiter so freundlich, dass sie abends wahrscheinlich Muskelkater im Gesicht vom vielen Lächeln haben.
Die in ihrer bodenlosen Lieblosigkeit doch bedauerlichste Ecke war aber der Souvenir- und Zubehörshop. Dass man dort Fußmatten fürs Auto und Scheibenreiniger für den frisch erworbenen VW kaufen kann, ist okay – Sinn macht es bei einem Neuwagen wahrscheinlich nicht? Dass es dort aber keine schlichte VW-Cap und einen billigen Jutebeutel gibt, stattdessen nur ganz, ganz arg hässliche Shirts und Turnbeutel von Submarken, die uns und sonst wahrscheinlich niemanden, der nicht gerade bei VW arbeitet und seinen Chef erfreuen will, interessiert, erschließt sich uns nun wirklich nicht…
Völlig abwegig erschienen auch die beiden Ausstellungen im Hauptgebäude der Autostadt. Direkt im Eingangsbereich gab es eine Ausstellung zum China-Geschäft von VW. Gerade vor dem Hintergrund der nicht aufgearbeiteten Nazi-Vergangenheit und der immer wieder deutlich zu vernehmenden Kritik an den VW-Werken dort, beschlich uns einmal mehr der Verdacht, dass es hier irgendwie nicht mit rechten Dingen zugeht. In diesem Sinne on point war dann auch die eigentlich ambitionierte Ausstellung über Nachhaltigkeit. Dort ging es mehr oder weniger darum, Ressourcenverbrauch und nachhaltiges Handeln transparent zu machen. Aber – erstaunlicherweise – funktionierte gerade das Exponat zu den Nachhaltigkeitsbemühungen von VW nicht. Das wirkte insbesondere deshalb schief, weil die Ausstellung ansonsten in erster Linie die Besucher:innen dazu anhält, ihr individuelles Konsumverhalten zu hinterfragen.
All diese Halbherzigkeit in diesem schönen Setting lässt uns ratlos zurück: Warum gibt sich VW so wenig Mühe uns zu begeistern, uns für sich zu gewinnen und zu treuen VW-Fans zu machen? Wozu gibt es dieses riesige Gelände, wenn es nicht zum Aufblasen der Marken und deren Storytelling genutzt wird? Gerade im Kontrast zum Vitra Campus drängt sich diese Frage auf. Dabei wird am Eingang schon klar, dass der Eintritt vor Jahren mal umsonst war und es heute für Nicht-Autoabholer wie uns 18 Euro sind. Das macht vor allem eins deutlich: Das Gelände ist ein Relikt, ein Kostenfresser und wird als Event für die Autoabholer am Leben gehalten. Für Leute, die für ihre fünf- bis sechsstellige Summe noch etwas erleben wollen, und zwar einen Ausflug nach Wolfsburg, einmal durch den Park ganz beseelt vom Kauf lustwandeln, den „Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters“ (wie Gerhard Schröder die Currywurst nannte) made on VW-Werksgelände (ein Werbeversprechen, mit dem die arme Wurst geschmacklich nicht mithalten kann) verzehren, Schlüsselübergabe und ab nach Hause ins upgegradete, konsumverblasene Leben brausen!
Leider konnte uns dieser Konsum-Olymp der Automarken so gut wie gar nicht beseelen, es bleiben vor allem gemischte Gefühle zurück.
BODY OF KNOWLEDGE
VW in Wolfsburg erleben
Führungen durchs VW-Werk buchen
→ autostadt.regiondo.de/werktour
VW über die Autostadt: „Automobile Welten. Kultur- und Veranstaltungen. Bildungsangebote. Kulinarische Hotspots. Die Autostadt ist weit mehr als die Kommunikationsplattform von Volkswagen. Sie ist ein spannender und vielfältiger Erlebnisort für Familien, Automobilfans, Wissbegierige und Genussmenschen.“
→ autostadt.de/erkunden
Mehr zu Lesen
Hintergrund zum NS-Werksgebäude
→ dhm.de/archiv/ausstellungen/aufbau_west_ost/katlg06.htm
Über den "Kraftriegel der Facharbeiter"
→ zeit.de/news/2021-08/11/currywurst-als-kraftriegel-schroeder-ruegt-kantine-von-vw
Über den ausgestellten Kübelwagen
→https://stories.autostadt.de/restaurierung-wie-man-aus-einem-alten-auto-einen-oldtimer-macht
Unser Eindruck von Wolfsburg
127.000 Einwohner, die größte Fabrik der Welt, die Autostadt, zwei Stadien, das Theater von Hans Scharoun, ein Museum für zeitgenössische Kunst, das Phaeno, ein Designer-Outlet mit 90 Markenshops direkt am Bahnhof, der Allerpark mit Hochseilgarten – auf dem Papier gibt es viel zu sehen! Als wir dann am Bahnhof aussteigen, erwartet uns ein – vom Phäno abgesehen – unspektakulärer Eindruck. Kein Dreck, keine Junkies, die die eingefleischten Frankfurter wohl an jedem Bahnhof erwarten, viel Straße, viele saubere Autos aus der VW-Familie, keine sich abzeichnende Innenstadt –gibt es die überhaupt?
“Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben” haben die Nazis die Stadt bei ihrer Gründung getauft und in diesem Namen steckt, dass es eben nicht einfach eine Stadt ist, die sich Menschen gern zum Leben aussuchen, sondern ein Ort, der nur in Bezug auf andere Orte und Dinge existiert. Trotz allen Bemühungen bleibt Wolfsburg leider nur ein Flickenteppich aus Versuchen, eine anziehende Stadt zu kreieren, sodass keiner von uns – nicht einmal im betörenden Licht des Frühlings – Wolfsburg als attraktiv bezeichnen würde.
Beobachtung: Carl Friedrich Then, Sabeth Wiese, Franziska Porsch
Erfahrungsbericht VW in Wolfsburg
SEP 2024
Wir waren mal wieder unterwegs und zwar in Wolfsburg, einer Stadt, deren einziger Existenzgrund wohl Volkswagen war und ist. An einem schönen Aprilwochenende – ja, wir hatten wieder Glück mit dem Wetter – machten wir uns auf den Weg in die niedersächsische Großstadt, mit dem Ziel uns vor allem das VW-Werk sowie die viel gerühmte Autostadt anzuschauen.
Das Werksgelände
VW ist eine der größten deutschen Marken, die es gibt. 672.789 Personen arbeiten für das Unternehmen an den vielen verschiedenen Standorten dieser Welt und machen eine Menge Umsatz. Aber wie tickt eigentlich so ein Unternehmen, wie präsentiert es sich jenseits der Werbung und Darstellung im World Wide Web, und vor allem: Wie inszeniert sich solch ein riesiger Konzern an seinem Hauptsitz? Mit diesen Fragen reisten wir dort an und, um es gleich vorwegzunehmen, vieles war schrecklich enttäuschend.
Beginnen wir mit der Werksführung: Die war nicht nur viel zu kurz für unseren Geschmack, sondern wurde auch noch von einer auslaugend-unauthentisch enthusiastischen PR-Lady geführt, die in ihrer übertrieben positiven Art, nicht ein einziges Mal die Worte “Nazis” und “Zwangsarbeit” über die Lippen brachte. Was angesichts des Fakts, dass es VW ohne die Nazis so nie gegeben hätte, fast schon ein Akt allerhöchster Verdrängungskunst ist – Hitler selbst hat im Mai 1938 den Grundstein des Werks gelegt... Kurz und mit unvollständigen Infos versorgt wurden wir im Eiltempo durch die Hallen gejagt und zwar in einer Art Parkbahn zusammengesetzt aus entdachten VW-Golf-Karosserien. Nirgendwo durften wir auch nur kurz aussteigen und etwas bedächtiger durch diese riesigen Hallen wandeln. Kein Wunder also, dass am Ende der fade Nachgeschmack blieb, dumm-fröhlich abgefrühstückt worden zu sein.
Was wirklich nicht fad ist, ist die unglaubliche Dimension des Geländes. Schon am Eingang war klar, was für ein irres Gelände das ist, so groß, dass es einen weißen Fleck in die Google-Maps-Karte von Wolfsburg frisst, mit Kraftwerk, eigener Fleischerei, Krankenhaus und alles dicht gedrängt mit Autos, Autos, Autos! Dann die alten Werksgebäude von den Nazis mit ihren wohlstrukturierten Fassaden in Dimensionen, die man kaum begreifen kann: 1,3 Kilometer lang, 300 Meter breit. Im Inneren eingebaut die hochmodernen cleanen Anlagen und immer wieder ein verlorener Buchsbaum und eigenartige Wolfsbilder – wohl Überreste einer Aktion a lá „Unser Arbeitsplatz soll schöner werden“.
Trotz allem kann so eine Führung in diesen durch und durch maschinisierten, abnorm riesigen Hallen nur Industriedesign-Porn par exellence sein: Insofern kamen Sabeth und Franziska gar nicht mehr aus dem Schauen und Staunen heraus (während Carl, der Eumel, sein Herz und seinen Verstand leider schon an die Airbus-Werke in Hamburg verloren hat). Das dicht gedrängte Neben- und Übereinander von Anlagen und Förderbändern, vollkommen lächerlich großen Pressen und Stanzen, dem Tanz der Roboterarme und dem entstehenden Sound, der an eine Horde kreischender Affen erinnert, fliegender Funken und des steten Stroms radelnder Techniker, dieses erstaunliche Gemenge aus Stillstand und unmenschlicher Dynamik – das lässt doch Industriedesigner:innen-Herzen höher schlagen!
Die Autostadt
Nachdem wir die Werksführung mit gemischten Gefühlen verließen, waren wir zunächst überrascht von der an das Werk anschließenden Autostadt und dem Park, in der sie liegt. Das Gelände wird von sattgrün geschwungenen Hügeln, terrassierten Wasserflächen und schmalen Brücken strukturiert, in die die Marken-Pavillons eingebettet sind. Auf den Hügeln sind hier und da Kiefern verteilt, die Wasserflächen werden von teilweise, sich scheinbar natürlich ausbreitenden Blumenstreifen aus Tulpen und Wasserlilien eingerahmt. Auf manchen Hügeln stehen Liegestühle, die Besucher:innen auffordern, auch über den Rasen zu schlendern und es sich gemütlich zu machen. Die Gestaltung des Parks ist zwar minimalistisch, wirkt aber keinesfalls artifiziell und lebensfeindlich, wie man es von ostentativ modernen Repräsentationsanlagen kennt. Statt mit seiner Größe zu protzen, werden die Besucher:innen und damit auch wir zum Entdecken des verschachtelten Geländes eingeladen.
In dieser Hinsicht war uns das Gelände sympathisch. Zwar wecken die Kiefern und Karpfen Assoziationen an japanische Gärten, aber die Pflanzen sind heimisch, eine Abstraktion der norddeutschen Landschaft jenseits Wolfsburgs. Die Architektur der Pavillons ist ambitioniert, aber darüber hinaus gibt es keine Skulpturen oder überkandidelten baulichen Elemente, die unnötig von dem Zweiklang aus Garten und Architektur ablenken. Denn überschattet wird die Autostadt ohnehin von dem absurd riesigen Kraftwerk des VW-Werks mit seinen gigantischen Schloten, was der Eleganz der Anlage einen absurden Twist verleiht.
Einer der vielen, wenn auch weniger ambitionierten Pavillons beherbergt das ZeitHaus, in dem Autos aus unterschiedlichen Dekaden gezeigt werden. Mit viel Freude verbrachten wir dort unsere Zeit damit, Etage für Etage immer mehr Schönheiten sowie Absonderlichkeiten zu entdecken. Von absurden Sammlerstücken wie einem genieteten braunen Bugatti bis hin zu den Meilensteinen der (VW-)Automobilgeschichte, wie ein (in den 1980ern gebauter) Kübelwagen oder eben der VW-Käfer. Auch hier stieß, wie eigentlich überall auf dem VW-Gelände, die geschichtsvergessene und undifferenzierte Haltung der Ausstellungsmacher auf. Denn so gut wie gar nichts erinnerte an die Zeit, in der VW entstand. Angeblich gibt es auch eine Gedenkstätte auf dem Gelände. Aber beim besten Willen: Wir haben keinen einzigen Hinweis gefunden, wo sie sich befinden soll.
Meckern über VW, meckern über die Autostadt
Aber wir wären nicht wir, hätten wir nicht doch noch mehr zu meckern. So sattgrün die Hügel auch sind, so deutlich sind eben auch die Rollrasen-Rechtecke zu erkennen, mit denen das Verwelkte ausgebessert wurde. Störender, da größer, sind vor allem die einrahmenden Gebäude der Autostadt – protzige und überdimensionierte Kinder der 2000er. Und obwohl uns das Äußere der Pavillons so überzeugte, langweilten uns die dort präsentierten Ausstellungen, die ohne jegliche Tiefe den einzelnen Marken des VW-Imperiums huldigen sollen. Ausschließlich Audi konnte sich durchringen, etwas über den – für uns natürlich interessanten – Designprozess vorzustellen. Die in den Marken-Pavillons wie in besseren, aber in die Jahre gekommenen Autohäusern ausgestellten Autos haben uns nahezu alle nicht gefallen. Das meiste waren sowieso SUVs, die wohl den Schuss aktueller Debatten nicht gehört haben. Im VW-Pavillon stand nicht mal ein Golf, obwohl das Modell wie kein zweites VW verkörpert. Und in die meisten Autos konnte man sich auch gar nicht reinsetzen… Technik also ohne Anfassen, wie schon in der Werksführung: Was soll einen denn dann überhaupt catchen? Immerhin waren die Mitarbeiter so freundlich, dass sie abends wahrscheinlich Muskelkater im Gesicht vom vielen Lächeln haben.
Die in ihrer bodenlosen Lieblosigkeit doch bedauerlichste Ecke war aber der Souvenir- und Zubehörshop. Dass man dort Fußmatten fürs Auto und Scheibenreiniger für den frisch erworbenen VW kaufen kann, ist okay – Sinn macht es bei einem Neuwagen wahrscheinlich nicht? Dass es dort aber keine schlichte VW-Cap und einen billigen Jutebeutel gibt, stattdessen nur ganz, ganz arg hässliche Shirts und Turnbeutel von Submarken, die uns und sonst wahrscheinlich niemanden, der nicht gerade bei VW arbeitet und seinen Chef erfreuen will, interessiert, erschließt sich uns nun wirklich nicht…
Völlig abwegig erschienen auch die beiden Ausstellungen im Hauptgebäude der Autostadt. Direkt im Eingangsbereich gab es eine Ausstellung zum China-Geschäft von VW. Gerade vor dem Hintergrund der nicht aufgearbeiteten Nazi-Vergangenheit und der immer wieder deutlich zu vernehmenden Kritik an den VW-Werken dort, beschlich uns einmal mehr der Verdacht, dass es hier irgendwie nicht mit rechten Dingen zugeht. In diesem Sinne on point war dann auch die eigentlich ambitionierte Ausstellung über Nachhaltigkeit. Dort ging es mehr oder weniger darum, Ressourcenverbrauch und nachhaltiges Handeln transparent zu machen. Aber – erstaunlicherweise – funktionierte gerade das Exponat zu den Nachhaltigkeitsbemühungen von VW nicht. Das wirkte insbesondere deshalb schief, weil die Ausstellung ansonsten in erster Linie die Besucher:innen dazu anhält, ihr individuelles Konsumverhalten zu hinterfragen.
All diese Halbherzigkeit in diesem schönen Setting lässt uns ratlos zurück: Warum gibt sich VW so wenig Mühe uns zu begeistern, uns für sich zu gewinnen und zu treuen VW-Fans zu machen? Wozu gibt es dieses riesige Gelände, wenn es nicht zum Aufblasen der Marken und deren Storytelling genutzt wird? Gerade im Kontrast zum Vitra Campus drängt sich diese Frage auf. Dabei wird am Eingang schon klar, dass der Eintritt vor Jahren mal umsonst war und es heute für Nicht-Autoabholer wie uns 18 Euro sind. Das macht vor allem eins deutlich: Das Gelände ist ein Relikt, ein Kostenfresser und wird als Event für die Autoabholer am Leben gehalten. Für Leute, die für ihre fünf- bis sechsstellige Summe noch etwas erleben wollen, und zwar einen Ausflug nach Wolfsburg, einmal durch den Park ganz beseelt vom Kauf lustwandeln, den „Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters“ (wie Gerhard Schröder die Currywurst nannte) made on VW-Werksgelände (ein Werbeversprechen, mit dem die arme Wurst geschmacklich nicht mithalten kann) verzehren, Schlüsselübergabe und ab nach Hause ins upgegradete, konsumverblasene Leben brausen!
Leider konnte uns dieser Konsum-Olymp der Automarken so gut wie gar nicht beseelen, es bleiben vor allem gemischte Gefühle zurück.
BODY OF KNOWLEDGE
VW in Wolfsburg erleben
Führungen durchs VW-Werk buchen
→ autostadt.regiondo.de/werktour
VW über die Autostadt: „Automobile Welten. Kultur- und Veranstaltungen. Bildungsangebote. Kulinarische Hotspots. Die Autostadt ist weit mehr als die Kommunikationsplattform von Volkswagen. Sie ist ein spannender und vielfältiger Erlebnisort für Familien, Automobilfans, Wissbegierige und Genussmenschen.“
→ autostadt.de/erkunden
Mehr zu Lesen
Hintergrund zum NS-Werksgebäude
→ dhm.de/archiv/ausstellungen/aufbau_west_ost/katlg06.htm
Über den "Kraftriegel der Facharbeiter"
→ zeit.de/news/2021-08/11/currywurst-als-kraftriegel-schroeder-ruegt-kantine-von-vw
Über den ausgestellten Kübelwagen
→https://stories.autostadt.de/restaurierung-wie-man-aus-einem-alten-auto-einen-oldtimer-macht
Unser Eindruck von Wolfsburg
127.000 Einwohner, die größte Fabrik der Welt, die Autostadt, zwei Stadien, das Theater von Hans Scharoun, ein Museum für zeitgenössische Kunst, das Phaeno, ein Designer-Outlet mit 90 Markenshops direkt am Bahnhof, der Allerpark mit Hochseilgarten – auf dem Papier gibt es viel zu sehen! Als wir dann am Bahnhof aussteigen, erwartet uns ein – vom Phäno abgesehen – unspektakulärer Eindruck. Kein Dreck, keine Junkies, die die eingefleischten Frankfurter wohl an jedem Bahnhof erwarten, viel Straße, viele saubere Autos aus der VW-Familie, keine sich abzeichnende Innenstadt –gibt es die überhaupt?
“Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben” haben die Nazis die Stadt bei ihrer Gründung getauft und in diesem Namen steckt, dass es eben nicht einfach eine Stadt ist, die sich Menschen gern zum Leben aussuchen, sondern ein Ort, der nur in Bezug auf andere Orte und Dinge existiert. Trotz allen Bemühungen bleibt Wolfsburg leider nur ein Flickenteppich aus Versuchen, eine anziehende Stadt zu kreieren, sodass keiner von uns – nicht einmal im betörenden Licht des Frühlings – Wolfsburg als attraktiv bezeichnen würde.
ABOUT US GESTALT ERROR 409
ILLUSTRATION In Design Limbo Pt.3 Mira Schleinig
BEOBACHTUNG Erfahrungsbericht VW in Wolfsburg 409
USE »Atemberaubend, oder?« Eine Apple Vision Pro Rezension Jakob Nonnen
ESSAY Extended Creativity: a Human Centered Approach to Working with AI Felix Dölker
USE The Curious Case of the TrackPoint ChatGPT & Sabeth Wiese
INTERVIEW Fünf Fragen zu Bibliothekspflanzen Anne Christensen
INTERVIEW Über Theorie und Praxis Prof. Dr. Felix Kosok
USE Traumreise in die Unterwelt Sabeth Wiese
BEOBACHTUNG Erfahrungsbericht Bauhaus Dessau 409
INTERVIEW Fünf Fragen zu Symbiosis – Living together Carl F. Then
INTERVIEW Five Questions on the University of Brighton Design Archives Sue Breakell
READ Backstage Talks Magazine Sabeth Wiese
ESSAY Zu Design und Utopie. Ein essayistisches Plädoyer Fabio Sacher
PROJEKT About Kreativbranche II: unglitched but shit Sabeth Wiese
PROJEKT Scherben Sammeln? Mudlarking Charlotte Bluhme
INTERVIEW Über die Grenzen des Designs Constanze Buckenlei und Marco Kellhammer
BEOBACHTUNG Eva Illouz und die Wurzeln der Experience Sabeth Wiese
ESSAY The Rise of Designforschung – Goodbye Autorendesign? Carl F. Then
USE DB, warum lässt du mich so sitzen? Sabeth Wiese
ESSAY Crypto Aesthetics Johannes Wilke
USE Der geschenkte Wasserfilter Franziska Porsch
READ Geschichte des Designs Carl F. Then
INTERVIEW About Design at Olivetti Pietro Cesari
USE Liebeserklärung an das Mono A Sabeth Wiese
BEOBACHTUNG Erfahrungsbericht Vitra Campus 409
INTERVIEW Fünf Fragen zu Hans "Nick" Roerichts Archiv Viktoria Lea Heinrich
ESSAY Gendered Embodiment through Designed Objects Anis Anais Looalian
BEOBACHTUNG Inside BWL Sabeth Wiese
INTERVIEW Fünf Fragen zu Designmanifesten Prof. Dr. Daniel Hornuff
ZITATE Designliteratur in Zitaten 409
PROJEKT GELD GELD GELD Sabeth Wiese
ILLUSTRATION In Design Limbo Pt.2 Mira Schleinig
WATCH Design is [messy] Carl F. Then
PROJEKT Umwandlungen. Gestaltung mit einem Insekt Simon Schmalhorst
INTERVIEW Über Designliteratur Helge Aszmoneit
READ Wie eine Person zu einem Nutzer wurde Franziska Porsch
PROJEKT Glitched about Kreativbranche Sabeth Wiese
ILLLUSTRATION In Design Limbo Pt.1 Mira Schleinig
READ Artificial Intelligence. A Guide for Thinking Humans Carl F. Then
INFO Newsletter
INFO Datenschutz
INFO Impressum