Rezension: Sabeth Wiese
Liebeserklärung an das Mono A
DEZ 2022
Eine Liebeserklärung für einen Designklassiker zu schreiben ist eigentlich ein ödes Unterfangen. Schließlich sind sie Klassiker, weil wir uns längst alle darauf geeinigt haben, dass diese Objekte schön sind, besonders sind. Eine Liebeserklärung für einen Designklassiker zu schreiben hat aber auch etwas unsympathisch Elitäres. Dass der Aufhänger für diesen Beitrag dann auch noch die Tatsache ist, dass meine Eltern mir das Besteck Mono A zu Weihnachten schenken, macht das ganze dann auch nicht unbedingt besser.
Jedoch bemerke ich zunehmend, dass gerade die Designklassiker, mit denen ich aufgewachsen bin, Tore zu Erinnerungen aus meiner Kindheit öffnen. Mehr noch als Gerüche, sind es für mich Gegenstände, die sich erfühlen und ertasten lassen, die man anschauen kann – ja, die man ganz einfach nutzt und zwar immer wieder – die bei mir den Weg in die Welt des Vergangenen eröffnen.
Aber warum machen das gerade Designklassiker? Liegt es an ihrer Omnipräsenz in Katalogen, Instagram- und Pinterest-Welten, Filmen, Werbung sowie den zahllosen Wohnungen, in denen sie als Statussymbole für Menschen dienen, die sich nur mittelmäßig für Design interessieren? Werden sie gerade dadurch zu Objekten, die sich leicht mit Bedeutung (vor allem auch persönlicher Bedeutung) aufladen lassen, weil sie so omnipräsent sind? Gerade wer sich mit Design auseinandersetzt oder es studiert hat, kennt sie irgendwann in ihren Details, ohne sie physisch vor sich zu haben. Auf dieser Schwelle zwischen abstrakter Ikone und real erfahrbarem Gegenstand bilden sie besonders für mich Zugänge zu meinen Erinnerungen. Und kein Objekt ist für mich so mit Erinnerungen aufgeladen wie das Mono A. Eigentlich ist es ein harter und scharfkantiger Entwurf, man könnte ihm vorwerfen er sei unbequem, unhandlich, unpraktisch. Es ist fast schon unmöglich mit dem langen Messer ein weiches Brot mit kalter, harter Butter zu bestreichen, ohne dass das Brot von der Spitze zerfetzt wird.
Aber jenseits davon ist das Mono A für mich als Scheidungskind ein Bindeglied zwischen den beiden Haushalten meiner getrennten Eltern. Erstaunlicherweise (oder vielleicht auch gerade unerstaunlicherweise) haben sie zwei gänzlich unterschiedliche gestalterische Sphären über die Jahre herausgebildet: Auf der einen Seite findet sich eine durchdachte gestalterische Stringenz, die sich durch Einrichtung und Objekte zieht, und auf der anderen Seite ein liebevolles, eklektisches Sammelsurium. In beiden Elternhäusern war das Abendessen das Herzstück des Familienlebens, in beiden, einmal alt genug, musste ich den Tisch decken. Dabei spielt natürlich das Besteck eine zentrale Rolle. Es präzise auszurichten, bei jedem Teller exakt gleich zur Tischkante, war mein banaler, aber nicht unwichtiger Beitrag zum großen Ganzen.
Wenn ich an das Mono A denke, denke ich zum Beispiel an das Festessen an Heiligabend mit beiden Elternhaushalten, ein zwangloses Zelebrieren der Gänge, die abwechselnd von meinem Papa und meiner Mama serviert werden, ein üppiges Gelage, eine heitere und wahnsinnig liebevolle Eskapade. Oder ich denke an meinen Papa und seine Frau, die sich beim Essen bissige Vorwürfe über den Tisch hinweg um die Ohren hauen und auf dem Höhepunkt des Streits das Mono A zur Seite legen, um sich wutentbrannt mit Scampis zu bewerfen. Und wenn ich an das Mono A denke, denke ich daran zurück, wie ich meine kleine Schwester in mieser Große-Schwester-Manier ständig belehrt habe, sie solle doch gefälligst auch mit Messer und Gabel essen. Für mich ist das Mono A nichts anderes als ein Symbol meiner Familie. So herrlich, so anstrengend, so eigen.
Deswegen verkörpert das Mono A für mich wie kein anderer Entwurf, wie wenig Gestalter:innen bestimmen können, was die Menschen, die ihre Entwürfe verwenden, am Ende damit assoziieren. Wie künstlich Konzepte werden können. Als Gestalterin ist das Mono A für mich ein Lehrstück, wie restlos sich ein Entwurf von seinen Gestalter:innen emanzipieren kann. Und das ist vielleicht auch das schönste, was einem Entwurf passieren kann, dass er so absorbiert wird von seinen Nutzer:innen bis er so sehr zu einem privaten Symbol wird, dass die Gestalter:innen und ihre großen Ideen egal werden.
BODY OF KNOWLEDGE
"Mono A begründet die Geschichte von Mono. Der Designer Peter Raacke gestaltete diesen reduzierten Entwurf im Auftrag von Herbert Seibel (3. Generation des Familienunternehmens) Ende der 1950er Jahre. Das Ziel war die Entwicklung eines einfach und nachhaltig zu produzierenden Bestecks mit zeitloser Gestalt. Nach der Markteinführung 1959 mussten Designer Raacke und Hersteller Seibel feststellen, dass der Entwurf zu progressiv war, die radikale Einfachheit entsprach nicht dem Geschmack von Händlern und Kunden. 1973, erst vierzehn Jahre später, gewann Mono A mit dem Bundespreis Gute Form die erste wichtige Designauszeichnung. Heute gilt es als absoluter Designklassiker, ist zigfach ausgezeichnet und hat sich in zeitloser Ästhetik und Relevanz wieder und wieder bewährt.
Das Mono A Messer ist in zwei Varianten verfügbar. Die kurze Klinge ist der ursprüngliche Messerentwurf von Peter Raacke. Die lange Klinge wurde als Alternative später ergänzt. Beide Varianten sind gleichermaßen funktional. Die Wahl orientiert sich an persönlicher Präferenz. Ergänzend sind diverse Vorlegeteile von Mono A verfügbar, von Salatbesteck über Tortenheber bis hin zur Fleischgabel. Alle Teile haben ein seidenmattes, gebürstetes Finish."
Rezension: Sabeth Wiese
Liebeserklärung an das Mono A
DEZ 2022
Eine Liebeserklärung für einen Designklassiker zu schreiben ist eigentlich ein ödes Unterfangen. Schließlich sind sie Klassiker, weil wir uns längst alle darauf geeinigt haben, dass diese Objekte schön sind, besonders sind. Eine Liebeserklärung für einen Designklassiker zu schreiben hat aber auch etwas unsympathisch Elitäres. Dass der Aufhänger für diesen Beitrag dann auch noch die Tatsache ist, dass meine Eltern mir das Besteck Mono A zu Weihnachten schenken, macht das ganze dann auch nicht unbedingt besser.
Jedoch bemerke ich zunehmend, dass gerade die Designklassiker, mit denen ich aufgewachsen bin, Tore zu Erinnerungen aus meiner Kindheit öffnen. Mehr noch als Gerüche, sind es für mich Gegenstände, die sich erfühlen und ertasten lassen, die man anschauen kann – ja, die man ganz einfach nutzt und zwar immer wieder – die bei mir den Weg in die Welt des Vergangenen eröffnen.
Aber warum machen das gerade Designklassiker? Liegt es an ihrer Omnipräsenz in Katalogen, Instagram- und Pinterest-Welten, Filmen, Werbung sowie den zahllosen Wohnungen, in denen sie als Statussymbole für Menschen dienen, die sich nur mittelmäßig für Design interessieren? Werden sie gerade dadurch zu Objekten, die sich leicht mit Bedeutung (vor allem auch persönlicher Bedeutung) aufladen lassen, weil sie so omnipräsent sind? Gerade wer sich mit Design auseinandersetzt oder es studiert hat, kennt sie irgendwann in ihren Details, ohne sie physisch vor sich zu haben. Auf dieser Schwelle zwischen abstrakter Ikone und real erfahrbarem Gegenstand bilden sie besonders für mich Zugänge zu meinen Erinnerungen. Und kein Objekt ist für mich so mit Erinnerungen aufgeladen wie das Mono A. Eigentlich ist es ein harter und scharfkantiger Entwurf, man könnte ihm vorwerfen er sei unbequem, unhandlich, unpraktisch. Es ist fast schon unmöglich mit dem langen Messer ein weiches Brot mit kalter, harter Butter zu bestreichen, ohne dass das Brot von der Spitze zerfetzt wird.
Aber jenseits davon ist das Mono A für mich als Scheidungskind ein Bindeglied zwischen den beiden Haushalten meiner getrennten Eltern. Erstaunlicherweise (oder vielleicht auch gerade unerstaunlicherweise) haben sie zwei gänzlich unterschiedliche gestalterische Sphären über die Jahre herausgebildet: Auf der einen Seite findet sich eine durchdachte gestalterische Stringenz, die sich durch Einrichtung und Objekte zieht, und auf der anderen Seite ein liebevolles, eklektisches Sammelsurium. In beiden Elternhäusern war das Abendessen das Herzstück des Familienlebens, in beiden, einmal alt genug, musste ich den Tisch decken. Dabei spielt natürlich das Besteck eine zentrale Rolle. Es präzise auszurichten, bei jedem Teller exakt gleich zur Tischkante, war mein banaler, aber nicht unwichtiger Beitrag zum großen Ganzen.
Wenn ich an das Mono A denke, denke ich zum Beispiel an das Festessen an Heiligabend mit beiden Elternhaushalten, ein zwangloses Zelebrieren der Gänge, die abwechselnd von meinem Papa und meiner Mama serviert werden, ein üppiges Gelage, eine heitere und wahnsinnig liebevolle Eskapade. Oder ich denke an meinen Papa und seine Frau, die sich beim Essen bissige Vorwürfe über den Tisch hinweg um die Ohren hauen und auf dem Höhepunkt des Streits das Mono A zur Seite legen, um sich wutentbrannt mit Scampis zu bewerfen. Und wenn ich an das Mono A denke, denke ich daran zurück, wie ich meine kleine Schwester in mieser Große-Schwester-Manier ständig belehrt habe, sie solle doch gefälligst auch mit Messer und Gabel essen. Für mich ist das Mono A nichts anderes als ein Symbol meiner Familie. So herrlich, so anstrengend, so eigen.
Deswegen verkörpert das Mono A für mich wie kein anderer Entwurf, wie wenig Gestalter:innen bestimmen können, was die Menschen, die ihre Entwürfe verwenden, am Ende damit assoziieren. Wie künstlich Konzepte werden können. Als Gestalterin ist das Mono A für mich ein Lehrstück, wie restlos sich ein Entwurf von seinen Gestalter:innen emanzipieren kann. Und das ist vielleicht auch das schönste, was einem Entwurf passieren kann, dass er so absorbiert wird von seinen Nutzer:innen bis er so sehr zu einem privaten Symbol wird, dass die Gestalter:innen und ihre großen Ideen egal werden.
BODY OF KNOWLEDGE
"Mono A begründet die Geschichte von Mono. Der Designer Peter Raacke gestaltete diesen reduzierten Entwurf im Auftrag von Herbert Seibel (3. Generation des Familienunternehmens) Ende der 1950er Jahre. Das Ziel war die Entwicklung eines einfach und nachhaltig zu produzierenden Bestecks mit zeitloser Gestalt. Nach der Markteinführung 1959 mussten Designer Raacke und Hersteller Seibel feststellen, dass der Entwurf zu progressiv war, die radikale Einfachheit entsprach nicht dem Geschmack von Händlern und Kunden. 1973, erst vierzehn Jahre später, gewann Mono A mit dem Bundespreis Gute Form die erste wichtige Designauszeichnung. Heute gilt es als absoluter Designklassiker, ist zigfach ausgezeichnet und hat sich in zeitloser Ästhetik und Relevanz wieder und wieder bewährt.
Das Mono A Messer ist in zwei Varianten verfügbar. Die kurze Klinge ist der ursprüngliche Messerentwurf von Peter Raacke. Die lange Klinge wurde als Alternative später ergänzt. Beide Varianten sind gleichermaßen funktional. Die Wahl orientiert sich an persönlicher Präferenz. Ergänzend sind diverse Vorlegeteile von Mono A verfügbar, von Salatbesteck über Tortenheber bis hin zur Fleischgabel. Alle Teile haben ein seidenmattes, gebürstetes Finish."
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