Interview mit Carl Friedrich Then
Fünf Fragen zu Symbiosis – Living together
Fragen: Sabeth Wiese, Franziska Porsch
SEP 2023
Ökologisches oder nachhaltiges Design ist nicht erst seit der Klimakrise in vieler Munde, nur wird mittlerweile immer lauter und öfter darüber gesprochen. Wie sich in "Symbiosis - Living together" nachlesen lässt, beginnt das Nachdenken über das Verhältnis von Design zu Natur bereits mit der Industrialisierung, also dem Aufkommen der Disziplin.
Carl Friedrich Then hat an der Frankfurter Goethe-Universität Ästhetik studiert. In seinem Buch, das auf seiner Masterarbeit basiert, gibt er einen Überblick über designtheoretische Positionen, die sowohl gestalterische Haltungen zur Natur als auch deren Konsequenzen für die Umwelt dokumentieren. Außerdem diskutiert er verschiedene Ansätze, wie für ein symbiotischeres Verhältnis von Natur, Mensch und Technik gestaltet werden kann, um unsere Existenz auf diesem Planeten möglichst lange zu erhalten. Wir haben ihm fünf Fragen gestellt, die einen Einstieg in das Buch geben.
409: Was waren der Auslöser und der Antrieb, dich in deiner Masterarbeit mit dem Design und insbesondere einem ökologischen Design auseinanderzusetzen?
Carl Friedrich Then: Design als eine Disziplin, die sich mit den Auswirkungen der Industrialisierung auf den Menschen und seine Umwelt auseinandersetzt, hat mich schon lange vor meinem Masterstudium interessiert. Jenseits theoretischer Diskurse geht es dort oft recht angewandt darum, wie sich der Mensch besser in eine technologisierte Welt integriert. Gerade diesen Aspekt fand ich persönlich immer super spannend. Denn heute müssen wir uns nicht mehr in einer natürlichen Welt zurechtfinden, sondern in einer Welt der Smartphones, U-Bahn-Netze und Supermärkte. Und darüber wollte ich auch in meiner Masterarbeit schreiben: eine Welt in der die Berührungspunkte mit einer ersten Natur immer weiter abnehmen und sich der Mensch sukzessive mit einer zweiten Natur umgibt, die immer mehr nach seinen eigenen Bedürfnissen ausgerichtet ist.
Dass es dann schlussendlich ein ökologisches Thema geworden ist, hat sich mehr oder weniger erst während der Arbeit herausgestellt. Denn ehrlich gesagt, ist mir gerade das Ökologische im Design oft etwas zu gefällig, da es viel zu oft über die Verstrickungen der Disziplin mit den hochproblematischen Seiten des Kapitalismus hinwegtäuschen soll. Es ist eben auch ein typisch idealistisches Uni- bzw. Hochschulthema, das dann dem Berufsalltag vieler Designer*innen überhaupt nicht standhalten kann.
Wie bereits oben erwähnt, hat mich vor allem der Begriff einer zweiten Natur fasziniert, insbesondere auch, weil er bei Kant in der Kritik der Urteilskraft im Rahmen seiner recht knappen Ausführungen zur Kreativität auftaucht. In diesem Zuge wollte ich dann eigentlich eine Kreativitätstheorie des Designs in einer technologisch/anthropogenen Welt schreiben, die mehr und mehr auf sich selbst verweist und weniger auf eine „erste“ Natur. Sozusagen eine Evolution zweiten Grades. Rückblickend betrachtet natürlich auch ein sehr modernistischer Ansatz.
409: Du stellst verschiedene Gestalter und Denkpositionen vor zum Verhältnis von Mensch, Technologie, Design und Natur. Kannst du einen Überblick über die verschiedenen Ansätze geben?
Carl: Im Laufe der Arbeit ist mir aufgefallen, dass der Natur immer wieder eine ziemlich prominente Rolle in den verschiedensten und auch gerade den bedeutenden Designströmungen zukommt. Sei es bei Louis H. Sullivan, Arts & Crafts, Gropius und dem Bauhaus etc. Das Natürliche und das Technologische spielen dort immer eine zentrale Rolle, und vor allem wird ihr Verhältnis zueinander immer wieder neu ausgehandelt. Das ist ziemlich spannend zu beobachten.
Ich habe mich dann zunächst historisch auf drei recht plastische Positionen bezogen. Zum einen Louis H. Sullivan, von dem ja das berühmt und berüchtigte Diktum form follows function stammt. Der Text in dem er das formuliert, ist geradezu durchdrungen von Naturmetaphorik, Evolutionstheorie und erstaunlicherweise recht mystischer und theologischer Positionen. Gerade sprachlich ein super faszinierender und wirrer Text. Was ich aber vor allem spannend fand, war, dass Sullivan keineswegs einen Bruch mit der Natur formuliert, ein solcher in seinen Ausführungen aber doch recht deutlich zu spüren ist. Schließlich ist er als Architekt von Hochhäusern in den 1870er und 1880er Jahren maßgeblich Teil dieser massiven technologischen Umwälzungen. Dennoch ist für ihn der Gestalter lediglich Medium von Natur und Schöpfung – alles beim Alten, sollte man meinen, aber das Brimborium mit dem er das alles umschreibt, lässt schon erahnen, dass irgendwas anders ist.
Ein paar Jahrzehnte später kann man dann bei Walter Gropius nachlesen, welche (vermeintliche) Macht die Industrialisierung mittlerweile gewonnen hat. Für ihn ist der Gestalter ein eigengesetzlicher Schöpfer, der durch Technologie, die Welt nach seinem Ideal umgestalten kann. Im Grunde genommen, kommt es für ihn dann einfach nur noch auf das richtige Ideal an. Das ist natürlich hochproblematisch. Aber vielleicht ist das auch nicht so verwunderlich für einen Menschen, der den Ersten Weltkrieg und die maschinisierten Vernichtungsschlachten an der Westfront miterlebt hat: Auf Knopfdruck werden ganze Landstriche verwüstet, durch menschliche Ingenieurs-„kunst“. Walter Benjamin hat dieses Phänomen – bzw. viel eher und treffender dieses Trauma – auch recht treffend in seinem Erzähler-Aufsatz aufgegriffen. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund auch, welch positive Strahlkraft das Bauhaus bis heute hat und vor allem welche spannenden Gebäude in Dessau entstanden sind.
Die Position, die aus heutiger Sicht wesentlich produktiver und im Gegensatz zu Sullivan und Gropius auch differenzierter ist, findet sich bei Gottfried Semper. Ein super faszinierender Typ, der leider nur noch durch die Dresdner Semperoper im Allgemeinwissen zu finden ist. Und auch im Design vermutlich auch eher weniger bekannt. Ich denke, er bewertet die Möglichkeiten und Probleme der Industrialisierung recht realistisch. Auf der einen Seite attestiert er dem Menschen einen freien Willen, der mit einem gewissen Gestaltungswillen verbunden ist, aber auf der anderen Seite macht er eben auch klar, dass es Naturgesetze gibt, an die sich der Mensch und die von ihm entworfene Technologie halten muss. Weiterhin macht er aber auch darauf aufmerksam, dass der Mensch eben ganz klare Bedürfnisse hat, um zu überleben: Dach über dem Kopf, Essen und Trinken, Sozialleben etc. Eine recht ausgewogene Sicht der Dinge also und dies alles schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Ich finde, dass diese drei Positionen (indifferent, ausbeuterisch, differenziert) ein recht anschauliches Spannungsfeld darstellen, in dem sich das Verhältnis zur Natur ja bis heute noch befindet. Und das insbesondere auch für heutige Debatten hilfreich sein kann.
409: Was müsste sich am Selbstverständnis von Design und seiner Praxis ändern, damit es sich ökologisch nennen kann?
Carl: In meinem Büchlein geht es dann natürlich noch ein wenig weiter mit der Introspektion. Mit Otl Aicher und Vilém Flusser werden dann vor allem noch einmal die ungemein zerstörerischen Potenziale der Industrialisierung, wie sie sich mit dem Zweiten Weltkrieg Bahn gebrochen haben, thematisiert. Spätestens jetzt war – zumindest auf einer zwischenmenschlichen bzw. zwischenstaatlichen – Ebene klar, dass die Potenziale der Technik auch eingedämmt werden müssen. Das Bewusstsein für das Ökologische folgte erst danach und brauchte noch ein paar Jahrzehnte.
Für die Designdisziplin und ihr Selbstverständnis heute sind meines Erachtens vor allem die Ausführungen von Bruno Latour in seinem Text Ein vorsichtiger Prometheus? Einige Schritte hin zu einer Philosophie des Designs, unter besonderer Berücksichtigung von Peter Sloterdijk interessant. Der Text ist nicht wirklich ausgefeilt oder großartig strukturiert und konnte wohl auch nur von jemandem geschrieben werden, der nicht zu tief in den Selbstrechtfertigungskomplexen der Designdisziplin gefangen ist. Jedenfalls spricht er dem Design historisch gewachsene Kompetenzen zu, die gerade hinsichtlich des Klimawandels von großer Bedeutung werden könnten. Er bringt hier in erster Linie die Begriffe Reorganisierung und Optimierung ein. Design ist für ihn eine Disziplin, die ein bereits bestehendes oder entworfenes Produkt/Konzept optimiert und dadurch nicht dem modernistischen Anspruch der totalen Kontrolle (aka. auch: Gesamtkunstwerk) auf den Leim geht. Ich möchte hier kurz etwas zitieren: „Es gibt stets die Versuchung, Design als nachträglichen Einfall zu sehen, als sekundäre Aufgabe, als eine weniger ernsthafte Aufgabe im Vergleich zu der des Ingenieurbüros, der Geschäftsabteilung oder der Wissenschaft –, doch darin liegt ebenso ein gewaltiger Vorteil, verglichen mit den Gedanken der Schöpfung.“ (Latour 2009, S.36)
Wer darüber mehr erfahren will, sollte den Text lesen oder kann natürlich in mein Buch schauen. Für mich und die Arbeit war aber viel wichtiger, dass ich über diesen Text und Latour auf die Gaia-Hypothese gestoßen bin, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Diese Hypothese wurde von Lynn Margulis und James Lovelock in den 1970er Jahren entwickelt, und nimmt an, dass die Erde ein einziger großer Organismus ist. Wir Menschen wären damit nur ein kleiner Teil eines biologischen Organismuses, den es schon seit ca. dreieinhalb Milliarden Jahren gibt.
Für mich bedeutet das in erster Linie auch einen Perspektivwechsel. Denn oft formulieren ökologische Bewegungen den Anspruch, dass wir Flora und Fauna retten müssen. Aber ist dem wirklich so? Müssen wir uns nicht vielleicht eher selbst retten, weil die Natur dann einfach wieder irgendetwas anderes macht und zwar ohne uns? – Natürlich verursachen wir anscheinend gerade das sechste große Massensterben innerhalb der letzten 500 Millionen Jahre, aber das bedeutet ja keineswegs, dass damit das biologische Leben auf dem Planeten Erde zu Ende geht. Wäre es also jenseits rein ethischer Fragen nicht vielleicht wirklich sinnvoll, das ökologische und klimatische Gleichgewicht zu stabilisieren, welches es uns in den letzten 10.000 Jahren ermöglicht hat eine einigermaßen weitentwickelte Zivilisation hervorzubringen? Denn keiner weiß ja wirklich, was passiert, wenn gewisse Tipping points erreicht wurden.
Wie kann sich Design ökologisch nennen und was muss es dafür tun? – Das war ja eure Frage… Ich denke, es wäre wichtig, das größere Bild in den Blick zu nehmen und auch evolutionäre Makrostrukturen zu verstehen, in denen die Menschheit eingebettet ist. Ich finde an dieser Stelle jenseits der Gaia-Hypothese den Begriff der Symbiose mit seinen Implikationen hilfreich. Das Buch von Lynn Margulis Symbiotic Planet kann ich dazu nur wärmstens empfehlen. Es zeigt einfach recht eindrücklich, wie sehr wir auf unsere Mitwelt angewiesen sind. Außerdem ist der Text auch einfach super schön punkig. Der Begriff der Symbiose wiederum kann anschaulich machen, worum es geht. Vielleicht ist das dann eher eine Marketingstrategie, aber ich denke, dass das richtige Narrativ für die eigene Kreativität sowie für die Bedeutung von ökologischer Notwendigkeiten von großer Bedeutung ist. Das Verzichts-Narrativ stößt ja sehr oft auch auf aggressive Ablehnung, der Begriff der Symbiose könnte hier Abhilfe schaffen.
Aber auch hier bin ich wieder an dem Punkt, dass ich mir die Frage stelle, welche agency Design eigentlich hat in dem großen Welttheater. Man müsste eigentlich viel mehr Lobbyarbeit leisten und auch mehr mit Geisteswissesnschaftler*innen sowie insbesondere Naturwissenschaftler*innen zusammenarbeiten, um Theorien und Ansätze zu entwickeln, die im Kontext Sinn machen. Die wahre Kraft des Designs und dort wo es auch wirklich gut ist, liegt ja da, wo es integriert und vermittelt. Das wäre ja angesichts der Klimakrise so wichtig, dass Natur, Mensch und Technik in ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten vermittelter und integrierter werden. Dass Dinge nicht kontrolliert werden, sondern koexistieren. Das heißt für mich auch irgendwo symbiotischer zu denken, also abhängiger, bedingter aber auch einander-ermöglichender.
409: Du hast deine Masterarbeit vor einer Weile geschrieben, was ist dir in der Zwischenzeit begegnet, dass deinen Blick auf das Themenfeld verändert oder geschärft hat?
Carl: Die theoretische und vor allem philosophische Auseinandersetzung mit Design wird immer weniger. Zuletzt hat die form ihre letzte Ausgabe herausgebracht, die ja über mehr als ein halbes Jahrhundert ein für das Design bedeutendes Diskursmedium war. Aber auch an den Hochschulen spielt die philosophische Auseinandersetzung eine immer geringere Rolle. So nehme ich es zumindest wahr. Das ist ja nicht zuletzt am Publikationsverhalten diverser Professor*innen zu sehen, die auf Lehrstühlen für Designtheorie und, oder -geschichte sitzen. Das finde ich wirklich schade. Ich würde mich darüber freuen, wenn eine intellektuellere Diskussion über Design, seine ökologische, ästhetische sowie gesellschaftliche Rolle nicht ganz verschwindet und vielleicht auch wieder populärer wird. Aber auf der anderen Seite: Wer hat denn noch so viel Zeit zum Lesen und zum Denken, heutzutage.
409: Any last words?
Carl: Ich möchte mich vor allem bei meinen Symbionten bedanken, ohne die das Buch nicht möglich gewesen wäre. Das klingt jetzt etwas kitschig, aber so ist es doch. Ohne die ganzen Menschen in meinem Umfeld, wäre die Masterarbeit und dann die Buchveröffentlichung gar nicht möglich gewesen – das meine ich nicht nur physisch auf das Buch bezogen, sondern auch gedanklich. Und so ist es auch im größeren Kontext Erde, ohne unsere Symbionten könnten wir nicht leben, wir brauchen sie.
BODY OF KNOWLEDGE
symbiosis – living together
→ windparkbooks.de
Für das Buch feiern wir am 30.9. eine Release Party
release und talk mit snacks und drinks
30. september um 18:30
Interview mit Carl Friedrich Then
Fünf Fragen zu Symbiosis – Living together
Fragen: Sabeth Wiese, Franziska Porsch
SEP 2023
Ökologisches oder nachhaltiges Design ist nicht erst seit der Klimakrise in vieler Munde, nur wird mittlerweile immer lauter und öfter darüber gesprochen. Wie sich in "Symbiosis - Living together" nachlesen lässt, beginnt das Nachdenken über das Verhältnis von Design zu Natur bereits mit der Industrialisierung, also dem Aufkommen der Disziplin.
Carl Friedrich Then hat an der Frankfurter Goethe-Universität Ästhetik studiert. In seinem Buch, das auf seiner Masterarbeit basiert, gibt er einen Überblick über designtheoretische Positionen, die sowohl gestalterische Haltungen zur Natur als auch deren Konsequenzen für die Umwelt dokumentieren. Außerdem diskutiert er verschiedene Ansätze, wie für ein symbiotischeres Verhältnis von Natur, Mensch und Technik gestaltet werden kann, um unsere Existenz auf diesem Planeten möglichst lange zu erhalten. Wir haben ihm fünf Fragen gestellt, die einen Einstieg in das Buch geben.
409: Was waren der Auslöser und der Antrieb, dich in deiner Masterarbeit mit dem Design und insbesondere einem ökologischen Design auseinanderzusetzen?
Carl Friedrich Then: Design als eine Disziplin, die sich mit den Auswirkungen der Industrialisierung auf den Menschen und seine Umwelt auseinandersetzt, hat mich schon lange vor meinem Masterstudium interessiert. Jenseits theoretischer Diskurse geht es dort oft recht angewandt darum, wie sich der Mensch besser in eine technologisierte Welt integriert. Gerade diesen Aspekt fand ich persönlich immer super spannend. Denn heute müssen wir uns nicht mehr in einer natürlichen Welt zurechtfinden, sondern in einer Welt der Smartphones, U-Bahn-Netze und Supermärkte. Und darüber wollte ich auch in meiner Masterarbeit schreiben: eine Welt in der die Berührungspunkte mit einer ersten Natur immer weiter abnehmen und sich der Mensch sukzessive mit einer zweiten Natur umgibt, die immer mehr nach seinen eigenen Bedürfnissen ausgerichtet ist.
Dass es dann schlussendlich ein ökologisches Thema geworden ist, hat sich mehr oder weniger erst während der Arbeit herausgestellt. Denn ehrlich gesagt, ist mir gerade das Ökologische im Design oft etwas zu gefällig, da es viel zu oft über die Verstrickungen der Disziplin mit den hochproblematischen Seiten des Kapitalismus hinwegtäuschen soll. Es ist eben auch ein typisch idealistisches Uni- bzw. Hochschulthema, das dann dem Berufsalltag vieler Designer*innen überhaupt nicht standhalten kann.
Wie bereits oben erwähnt, hat mich vor allem der Begriff einer zweiten Natur fasziniert, insbesondere auch, weil er bei Kant in der Kritik der Urteilskraft im Rahmen seiner recht knappen Ausführungen zur Kreativität auftaucht. In diesem Zuge wollte ich dann eigentlich eine Kreativitätstheorie des Designs in einer technologisch/anthropogenen Welt schreiben, die mehr und mehr auf sich selbst verweist und weniger auf eine „erste“ Natur. Sozusagen eine Evolution zweiten Grades. Rückblickend betrachtet natürlich auch ein sehr modernistischer Ansatz.
409: Du stellst verschiedene Gestalter und Denkpositionen vor zum Verhältnis von Mensch, Technologie, Design und Natur. Kannst du einen Überblick über die verschiedenen Ansätze geben?
Carl: Im Laufe der Arbeit ist mir aufgefallen, dass der Natur immer wieder eine ziemlich prominente Rolle in den verschiedensten und auch gerade den bedeutenden Designströmungen zukommt. Sei es bei Louis H. Sullivan, Arts & Crafts, Gropius und dem Bauhaus etc. Das Natürliche und das Technologische spielen dort immer eine zentrale Rolle, und vor allem wird ihr Verhältnis zueinander immer wieder neu ausgehandelt. Das ist ziemlich spannend zu beobachten.
Ich habe mich dann zunächst historisch auf drei recht plastische Positionen bezogen. Zum einen Louis H. Sullivan, von dem ja das berühmt und berüchtigte Diktum form follows function stammt. Der Text in dem er das formuliert, ist geradezu durchdrungen von Naturmetaphorik, Evolutionstheorie und erstaunlicherweise recht mystischer und theologischer Positionen. Gerade sprachlich ein super faszinierender und wirrer Text. Was ich aber vor allem spannend fand, war, dass Sullivan keineswegs einen Bruch mit der Natur formuliert, ein solcher in seinen Ausführungen aber doch recht deutlich zu spüren ist. Schließlich ist er als Architekt von Hochhäusern in den 1870er und 1880er Jahren maßgeblich Teil dieser massiven technologischen Umwälzungen. Dennoch ist für ihn der Gestalter lediglich Medium von Natur und Schöpfung – alles beim Alten, sollte man meinen, aber das Brimborium mit dem er das alles umschreibt, lässt schon erahnen, dass irgendwas anders ist.
Ein paar Jahrzehnte später kann man dann bei Walter Gropius nachlesen, welche (vermeintliche) Macht die Industrialisierung mittlerweile gewonnen hat. Für ihn ist der Gestalter ein eigengesetzlicher Schöpfer, der durch Technologie, die Welt nach seinem Ideal umgestalten kann. Im Grunde genommen, kommt es für ihn dann einfach nur noch auf das richtige Ideal an. Das ist natürlich hochproblematisch. Aber vielleicht ist das auch nicht so verwunderlich für einen Menschen, der den Ersten Weltkrieg und die maschinisierten Vernichtungsschlachten an der Westfront miterlebt hat: Auf Knopfdruck werden ganze Landstriche verwüstet, durch menschliche Ingenieurs-„kunst“. Walter Benjamin hat dieses Phänomen – bzw. viel eher und treffender dieses Trauma – auch recht treffend in seinem Erzähler-Aufsatz aufgegriffen. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund auch, welch positive Strahlkraft das Bauhaus bis heute hat und vor allem welche spannenden Gebäude in Dessau entstanden sind.
Die Position, die aus heutiger Sicht wesentlich produktiver und im Gegensatz zu Sullivan und Gropius auch differenzierter ist, findet sich bei Gottfried Semper. Ein super faszinierender Typ, der leider nur noch durch die Dresdner Semperoper im Allgemeinwissen zu finden ist. Und auch im Design vermutlich auch eher weniger bekannt. Ich denke, er bewertet die Möglichkeiten und Probleme der Industrialisierung recht realistisch. Auf der einen Seite attestiert er dem Menschen einen freien Willen, der mit einem gewissen Gestaltungswillen verbunden ist, aber auf der anderen Seite macht er eben auch klar, dass es Naturgesetze gibt, an die sich der Mensch und die von ihm entworfene Technologie halten muss. Weiterhin macht er aber auch darauf aufmerksam, dass der Mensch eben ganz klare Bedürfnisse hat, um zu überleben: Dach über dem Kopf, Essen und Trinken, Sozialleben etc. Eine recht ausgewogene Sicht der Dinge also und dies alles schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Ich finde, dass diese drei Positionen (indifferent, ausbeuterisch, differenziert) ein recht anschauliches Spannungsfeld darstellen, in dem sich das Verhältnis zur Natur ja bis heute noch befindet. Und das insbesondere auch für heutige Debatten hilfreich sein kann.
409: Was müsste sich am Selbstverständnis von Design und seiner Praxis ändern, damit es sich ökologisch nennen kann?
Carl: In meinem Büchlein geht es dann natürlich noch ein wenig weiter mit der Introspektion. Mit Otl Aicher und Vilém Flusser werden dann vor allem noch einmal die ungemein zerstörerischen Potenziale der Industrialisierung, wie sie sich mit dem Zweiten Weltkrieg Bahn gebrochen haben, thematisiert. Spätestens jetzt war – zumindest auf einer zwischenmenschlichen bzw. zwischenstaatlichen – Ebene klar, dass die Potenziale der Technik auch eingedämmt werden müssen. Das Bewusstsein für das Ökologische folgte erst danach und brauchte noch ein paar Jahrzehnte.
Für die Designdisziplin und ihr Selbstverständnis heute sind meines Erachtens vor allem die Ausführungen von Bruno Latour in seinem Text Ein vorsichtiger Prometheus? Einige Schritte hin zu einer Philosophie des Designs, unter besonderer Berücksichtigung von Peter Sloterdijk interessant. Der Text ist nicht wirklich ausgefeilt oder großartig strukturiert und konnte wohl auch nur von jemandem geschrieben werden, der nicht zu tief in den Selbstrechtfertigungskomplexen der Designdisziplin gefangen ist. Jedenfalls spricht er dem Design historisch gewachsene Kompetenzen zu, die gerade hinsichtlich des Klimawandels von großer Bedeutung werden könnten. Er bringt hier in erster Linie die Begriffe Reorganisierung und Optimierung ein. Design ist für ihn eine Disziplin, die ein bereits bestehendes oder entworfenes Produkt/Konzept optimiert und dadurch nicht dem modernistischen Anspruch der totalen Kontrolle (aka. auch: Gesamtkunstwerk) auf den Leim geht. Ich möchte hier kurz etwas zitieren: „Es gibt stets die Versuchung, Design als nachträglichen Einfall zu sehen, als sekundäre Aufgabe, als eine weniger ernsthafte Aufgabe im Vergleich zu der des Ingenieurbüros, der Geschäftsabteilung oder der Wissenschaft –, doch darin liegt ebenso ein gewaltiger Vorteil, verglichen mit den Gedanken der Schöpfung.“ (Latour 2009, S.36)
Wer darüber mehr erfahren will, sollte den Text lesen oder kann natürlich in mein Buch schauen. Für mich und die Arbeit war aber viel wichtiger, dass ich über diesen Text und Latour auf die Gaia-Hypothese gestoßen bin, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Diese Hypothese wurde von Lynn Margulis und James Lovelock in den 1970er Jahren entwickelt, und nimmt an, dass die Erde ein einziger großer Organismus ist. Wir Menschen wären damit nur ein kleiner Teil eines biologischen Organismuses, den es schon seit ca. dreieinhalb Milliarden Jahren gibt.
Für mich bedeutet das in erster Linie auch einen Perspektivwechsel. Denn oft formulieren ökologische Bewegungen den Anspruch, dass wir Flora und Fauna retten müssen. Aber ist dem wirklich so? Müssen wir uns nicht vielleicht eher selbst retten, weil die Natur dann einfach wieder irgendetwas anderes macht und zwar ohne uns? – Natürlich verursachen wir anscheinend gerade das sechste große Massensterben innerhalb der letzten 500 Millionen Jahre, aber das bedeutet ja keineswegs, dass damit das biologische Leben auf dem Planeten Erde zu Ende geht. Wäre es also jenseits rein ethischer Fragen nicht vielleicht wirklich sinnvoll, das ökologische und klimatische Gleichgewicht zu stabilisieren, welches es uns in den letzten 10.000 Jahren ermöglicht hat eine einigermaßen weitentwickelte Zivilisation hervorzubringen? Denn keiner weiß ja wirklich, was passiert, wenn gewisse Tipping points erreicht wurden.
Wie kann sich Design ökologisch nennen und was muss es dafür tun? – Das war ja eure Frage… Ich denke, es wäre wichtig, das größere Bild in den Blick zu nehmen und auch evolutionäre Makrostrukturen zu verstehen, in denen die Menschheit eingebettet ist. Ich finde an dieser Stelle jenseits der Gaia-Hypothese den Begriff der Symbiose mit seinen Implikationen hilfreich. Das Buch von Lynn Margulis Symbiotic Planet kann ich dazu nur wärmstens empfehlen. Es zeigt einfach recht eindrücklich, wie sehr wir auf unsere Mitwelt angewiesen sind. Außerdem ist der Text auch einfach super schön punkig. Der Begriff der Symbiose wiederum kann anschaulich machen, worum es geht. Vielleicht ist das dann eher eine Marketingstrategie, aber ich denke, dass das richtige Narrativ für die eigene Kreativität sowie für die Bedeutung von ökologischer Notwendigkeiten von großer Bedeutung ist. Das Verzichts-Narrativ stößt ja sehr oft auch auf aggressive Ablehnung, der Begriff der Symbiose könnte hier Abhilfe schaffen.
Aber auch hier bin ich wieder an dem Punkt, dass ich mir die Frage stelle, welche agency Design eigentlich hat in dem großen Welttheater. Man müsste eigentlich viel mehr Lobbyarbeit leisten und auch mehr mit Geisteswissesnschaftler*innen sowie insbesondere Naturwissenschaftler*innen zusammenarbeiten, um Theorien und Ansätze zu entwickeln, die im Kontext Sinn machen. Die wahre Kraft des Designs und dort wo es auch wirklich gut ist, liegt ja da, wo es integriert und vermittelt. Das wäre ja angesichts der Klimakrise so wichtig, dass Natur, Mensch und Technik in ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten vermittelter und integrierter werden. Dass Dinge nicht kontrolliert werden, sondern koexistieren. Das heißt für mich auch irgendwo symbiotischer zu denken, also abhängiger, bedingter aber auch einander-ermöglichender.
409: Du hast deine Masterarbeit vor einer Weile geschrieben, was ist dir in der Zwischenzeit begegnet, dass deinen Blick auf das Themenfeld verändert oder geschärft hat?
Carl: Die theoretische und vor allem philosophische Auseinandersetzung mit Design wird immer weniger. Zuletzt hat die form ihre letzte Ausgabe herausgebracht, die ja über mehr als ein halbes Jahrhundert ein für das Design bedeutendes Diskursmedium war. Aber auch an den Hochschulen spielt die philosophische Auseinandersetzung eine immer geringere Rolle. So nehme ich es zumindest wahr. Das ist ja nicht zuletzt am Publikationsverhalten diverser Professor*innen zu sehen, die auf Lehrstühlen für Designtheorie und, oder -geschichte sitzen. Das finde ich wirklich schade. Ich würde mich darüber freuen, wenn eine intellektuellere Diskussion über Design, seine ökologische, ästhetische sowie gesellschaftliche Rolle nicht ganz verschwindet und vielleicht auch wieder populärer wird. Aber auf der anderen Seite: Wer hat denn noch so viel Zeit zum Lesen und zum Denken, heutzutage.
409: Any last words?
Carl: Ich möchte mich vor allem bei meinen Symbionten bedanken, ohne die das Buch nicht möglich gewesen wäre. Das klingt jetzt etwas kitschig, aber so ist es doch. Ohne die ganzen Menschen in meinem Umfeld, wäre die Masterarbeit und dann die Buchveröffentlichung gar nicht möglich gewesen – das meine ich nicht nur physisch auf das Buch bezogen, sondern auch gedanklich. Und so ist es auch im größeren Kontext Erde, ohne unsere Symbionten könnten wir nicht leben, wir brauchen sie.
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30. september um 18:30
ABOUT US GESTALT ERROR 409
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