Rezension: Jakob Nonnen
»Atemberaubend, oder?«
AUG 2024
Ich betrete die Kathedrale. Eine der Messdiener:innen steht in der Nähe und nickt mir zu, begrüßend, aber distanziert. Überall auf den Tischen liegen Devotionalien in verschiedenen Farben und Größen. Für jeden Bedarf. Der Kontakt zu Gott ist gewährleistet. Die neueste Reliquie offenbart sich mir, als ich mein Anliegen vortrage und freundlich gebeten werde an einem der Tische zu warten. Dort befindet sich etwas, das eine neue Sicht ermöglichen soll. Einen direkten Blick ins Paradies, ohne dabei die Verbindung zum irdischen Leben zu kappen.
Donnerstag, 18. Juli 2024, 11 Uhr, Rosenstraße in München. Apple Store. Ich trete ein und suche einen Mitarbeiter mit Headset, der den Code einscannt und mir direkt einen Warteplatz an einem der Holztische zuteilt. »Warte am besten genau hier.« Zwei der Brillen stehen exponiert mit den beiden unterschiedlichen Kopfhalterungen in der Mitte des Tisches. Rundherum die neuesten iPad-Modelle, auf denen die verschiedenen Spezifikationen der Vision Pro zum Auswählen und Durchschauen angezeigt werden. Vorne auf dem äußeren Display der Brille changiert es in Blau und Magenta.
»Ich suche einen Jakob«, sagt eine Apple-Mitarbeiterin. Die andere Person, die mit mir gewartet hat und aufgerufen wurde, und ich folgen ihr die gläserne Wendeltreppe in den ersten Stock des Geschäfts hinauf. »Seid ihr schon aufgeregt?«, fragt sie. »Eher gespannt«, entgegne ich. Die Person neben mir bleibt verhalten. »Ich übergebe dich jetzt direkt an meine Kollegin, Jakob.« Sara nimmt sich meiner an und wir setzen uns zusammen auf Bänke, die App-förmig angeordnet sind. Es wird geduzt. Um uns herum sitzen andere Menschen mit den Brillen auf dem Kopf, immer in Begleitung einer Apple-Mitarbeiter:in. Manche bewegen ihre Hände mehr, manche weniger. Sara sitzt mit einem iPad-Mini neben mir und hat dort Infos über unseren Termin vor sich. Ich muss einen QR-Code scannen und die Apple Store-App meines iPhones öffnet sich. Ich werde aufgefordert mein Gesicht mittels Face ID-Sensor zu scannen. »Damit wir den richtigen Gesichtseinsatz in der Vision Pro haben.« Jetzt bittet sie mich um meine Brille und lässt von einem Gerät, das schwer nach Fielmann aussieht, meine Sehstärke auslesen. »Ich darf deine Sehstärke nicht sehen, ich habe hier nur einen QR-Code, den ich an meine Kolleg:innen weiterschicke.« Sie fügt mit leicht ironischem Unterton hinzu: »Apple und Datenschutz.« Es dauert nicht lange und ein Mitarbeiter kommt mit einem hölzernen Tablett aus einer Tür. Er stellt das Gerät feierlich zwischen uns ab und verschwindet wieder. Sara hebt die Brille an, entfernt den textilen Schutz des Glases und die glänzende, abgerundete Front mit den vielen Kameras offenbart sich uns. »Jetzt kannst du sie aufsetzen.« Sie erklärt mir, wie ich die Brille am besten greife. Ich ziehe sie auf und an zwei Punkten am Kopf fest. »Jetzt fährt sie hoch.« Der Apfel erscheint. Ich muss ein paar Mal die »Crown«, das Drehrad an der Brille, drücken und meine Hände vor mich in die Luft halten. Die Umgebung erscheint ausgegraut, aber dreidimensional vor mir. Ich bin überrascht, wie eng das Sichtfeld ist. Ähnlich einer Taucherbrille. »Der Mauszeiger sind quasi deine Augen. Es wird der Punkt ausgewählt, den du anschaust. Dann bestätigst du, indem du ganz entspannt Zeigefinger und Daumen aufeinander tippst.« Ich klicke mich durch ein Kalibrierungsmenü, in dem Punkte kreisförmig vor mir im Raum angeordnet sind. Sie werden durch Anschauen und die neugelernte Fingergeste aktiviert. »Jetzt müssen wir noch deine optischen Einsätze mit der Vision Pro teilen.« Sara hält mir mit ihrem iPad einen QR-Code hin, auf den ich schauen soll. Irgendetwas stimmt nicht. Die Brille hängt sich auf und die Umgebung bleibt ausgegraut. Trotzdem kann ich den Kopf bewegen und um mich herumschauen. »Das ist noch nie passiert.« entgegnet Sara. Wir starten die Brille neu und ich navigiere mich erneut durch die Kalibrierung. Diesmal klappt das Scannen des Codes und die optischen Einsätze werden vom Eyetracking der Brille berücksichtigt. Ich meine zu merken, dass die räumliche Wahrnehmung jetzt besser ist als vorher. »So, dann können wir ja anfangen. Möchtest du lieber die Unterhaltungsmöglichkeiten der Vision Pro kennenlernen oder die Produktivitätsmöglichkeiten?« Ich hadere kurz und entscheide mich für die Unterhaltungsmöglichkeiten. »Dreh jetzt mal an der Crown.« Der Raum wird ausgeblendet und ich stehe in einer weiten Berglandschaft. Je länger ich an der Crown drehe, desto mehr verschwindet der Apple Store um mich herum. Ich rufe das Menü auf und wechsle den Hintergrund. Jetzt stehe ich auf dem Mond. In der schwarzen Ferne leuchtet die Erde ganz klein über mir. »Jetzt dreh mal wieder zurück.« Die Gegendrehung der Crown zieht mich wieder in den Apple Store. »Atemberaubend, oder?«, fragt Sara. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Im nächsten Moment bin ich in einem Kino und schaue mir auf einer überdimensionalen Leinwand – merkwürdig allein im dunklen, dreidimensionalen Raum – den Trailer einer kommenden Apple TV+-Produktion an. Immer wieder, wenn Sara mit mir spricht, bemerke ich, dass ihr Gesicht leicht eingeblendet wird. Auch das Konterfei eines Kunden, der irgendwo weiter hinten ein Beratungsgespräch hat, wird immer wieder eingeblendet. Ich konstatiere das und Sara entgegnet: »Ja, das hat Apple bewusst so gemacht, damit die Leute nicht komplett aufgesogen werden von der Immersion.« Ich frage mich, ob das so in ihrem Phrasenbuch steht. Generell stelle ich fest, dass die Apple-typischen Phrasen in unserem begleitenden Gespräch immer wieder mit ihrer Offenheit und lockeren Kommunikation kollidieren.
»So, jetzt schauen wir uns die Fotos-App an.« Das Menü mit den runden Apps ploppt vor mir auf, ich schaue auf das App-Icon und tippe Zeigefinger und Daumen aufeinander. Alles funktioniert erschreckend intuitiv und nahtlos. Sara sagt mir, wo ich hinschauen soll und was ich anklicken soll. Sie sieht auf ihrem iPad, was ich sehe. Plötzlich sitze ich vor einem Geburtstagskuchen und meine Apple-typische, sehr diverse Familie sitzt im Kreis um mich herum und gratuliert zum Geburtstag. Eine Torte steht direkt vor mir und die Kerzen flackern leicht. Ich bekomme direkt den Impuls sie auszupusten. Ich muss vor Überforderung ein bisschen lachen: »Oh Mann, das ist richtig uncanny.« Es ist fast unangenehm, wie realistisch sich die Situation anfühlt und wie reflexhaft ich auf die Umgebung reagiere, die ich vor mir sehe. Mein Körper scheint nicht zu verstehen, dass es sich um eine virtuelle Darstellung handelt, bis zu dem Moment, als ich versuche mit dem Inhalt zu interagieren. Wir klicken uns noch durch weitere dreidimensionale Bilder und Videos, die teilweise mit der Vision Pro und teilweise mit der iPhone-Kamera erstellt wurden. Die mit dem iPhone aufgenommenen räumlichen Videos sehen allerdings eher schwach aus im Vergleich zu den mit der Vision Pro aufgenommenen Inhalten. Als nächstes rufen wir ein Spiel auf. Mir fällt auf, wie absurd es ist, dass alle Inhalte in dem dreidimensionalen Raum vor mir zweidimensional dargestellt werden. Ich sehe räumlich, aber das Interface ist – bis auf ein paar Tiefeneffekte – flach. Wie wir es von Computerbildschirmen der letzten Dekaden gewöhnt sind. Man kann zwar mehrere Fenster gleichzeitig im Raum anordnen und frei verschieben, trotzdem frage ich mich, wie wohl dreidimensionale Interfaces in Zukunft aussehen werden. Wird es virtuelle Knöpfe geben? Oberflächen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, weil sie weder aussehen wie analoge noch wie bildschirmgebundene, digitale Bedienelemente? »Spacial Computing«, wie Apple die zukünftige Technologie für sich labelt.
»So, jetzt sind wir mit dem Hauptteil durch, hast du noch irgendwelche spezifischen Fragen zur Vision Pro?« Ich verneine. »Dann kommen wir jetzt zum großen Finale! Geh dafür bitte nochmal in die TV-App.« Das mache ich und höre noch in der Ferne Sara sagen: »Viel Spaß.« Dann stehe ich plötzlich mit einer Frau auf einem Seil zwischen zwei Bergspitzen. Es ist extrem still. Auf einmal sitze ich in der Savanne mit einer anderen Frau, die ein Nashornbaby knuddelt. Die Schnitte werden schneller. Verschiedene Sportarten. Basketball. Fußball. Dinosaurier. Ich bin direkt über einem Fußballtor und alles ist ungewohnt räumlich. Der Ball fliegt direkt vor mir ins Tor, die Menschen drumherum jubeln. Der Klang funktioniert, der Raum funktioniert. Als ob nur noch der Geruch und meine eigene physische Präsenz fehlen würden. Ich stehe wieder auf dem Seil zwischen den Bergspitzen mit der Frau in Klettermontur. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt vom Seil. Es wird schwarz. Stille. Alicia Keys steht in einem Tonstudio vor mir, schaut mich an und singt ein Lied direkt in meine Augen. Hier wird es wieder gruselig, uncanny. Ich kann sogar den Kopf bewegen und im Raum umherschauen. Ich kann ihre Körpergröße einschätzen und wie groß das Studio um uns herum ist. Facetten dreidimensionaler Wahrnehmung, die wir aus unserer Gewöhnung an zweidimensionale Videoformate nicht kennen.
Ich nehme die Vision Pro ab. Später fällt mir auf, dass es keine Gelegenheit gab, das durchdesignte physische Objekt »Apple Vision Pro«, länger in die Hand zu nehmen und zu betrachten. Das einzige, das mir haptisch in Erinnerung geblieben ist: das Gewicht.
»Möchtest du sie gleich mitnehmen? Wir haben alle Ausführungen da.« Ich bedanke mich für die freundliche Demo und lehne den Kauf der 4000 Euro teuren Vorschau auf die vermeintliche Zukunft dankend ab.
Ich steige die Treppen der gläsernen Kathedrale hinab, laufe zur Pforte, vorbei an all den Devotionalien und frage mich, ob meine Verbindung zum irdischen Leben durch diese Erfahrung erschüttert wurde.
BODY OF KNOWLEDGE
Jakob Nonnen ist Fotograf und Designer. Er wurde 1993 in Südhessen geboren und studierte Kommunikationsdesign (Diplom) in Darmstadt und Venedig. Aktuell macht er seinen Masterabschluss an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle in „Visual Strategies and Stories.“ Neben dem Studium ist er als freier Fotograf und Gestalter tätig. Lehrerfahrung sammelte er als Dozent und mit Kreativ-Workshops. Derzeit arbeitet er an seinem Masterprojekt über die Gigafactory von Tesla in Brandenburg.
→ jakobnonnen.de
Offizielles von Apple
Die Apple Vision Pro vereint digitale Inhalte nahtlos mit deiner Umgebung. So kannst du arbeiten, Filme sehen, Erinnerungen erleben und dich auf völlig neue Art mit anderen verbinden. Willkommen in der Ära des räumlichen Computings
→ www.apple.com/de/apple-vision-pro
Sabeths Vision Pro Demo
Nachdem ich Jakobs Text gelesen habe, bin ich natürlich neugierig geworden. Also habe ich mir einen Termin im Apple Store in Köln organisiert, um das Wunder mit eigenen Augen zu schauen. Fazit: der aufgeklebte Hygieneschutz an der Brille hat ein gutes Büschel Haare aus meinem Pony gerissen, ich habe mich in der hyper-freundlich und sleeken Apple Store Experience irre deplatziert gefühlt und ich hatte echt kein Bock in der Demo die Deppin mit der Brille auf zu sein, die die Hand ins Nichts ausstreckt, weil sie denkst, sie “streichelt einen Dino” – und zu guter letzte ist die Brille auch einfach so schwer, dass ich mich niemals für 3h Dune ins virtuelle Kino setzten würde. Apple hat es bei mir geschafft die Experience in der physischen Welt so zu vergeigen, dass es mir extra schwer fällt, von der virtuellen beeindruckt zu sein. Aber in Sachen Bedienung hat Apple ohne Frage Maßstäbe für alle anderen Hersteller gesetzt: keine Controller mehr, dafür ein Haufen kleiner kluger Kniffe in der UX. Die hauen einen vielleicht nicht so vom Hocker wie das Versprechen der Immersion, aber liefern zumindest einen Anlass für die Hoffnung, dass VR in Zukunft tatsächlich lässig werden könnte.
Rezension: Jakob Nonnen
»Atemberaubend, oder?«
AUG 2024
Ich betrete die Kathedrale. Eine der Messdiener:innen steht in der Nähe und nickt mir zu, begrüßend, aber distanziert. Überall auf den Tischen liegen Devotionalien in verschiedenen Farben und Größen. Für jeden Bedarf. Der Kontakt zu Gott ist gewährleistet. Die neueste Reliquie offenbart sich mir, als ich mein Anliegen vortrage und freundlich gebeten werde an einem der Tische zu warten. Dort befindet sich etwas, das eine neue Sicht ermöglichen soll. Einen direkten Blick ins Paradies, ohne dabei die Verbindung zum irdischen Leben zu kappen.
Donnerstag, 18. Juli 2024, 11 Uhr, Rosenstraße in München. Apple Store. Ich trete ein und suche einen Mitarbeiter mit Headset, der den Code einscannt und mir direkt einen Warteplatz an einem der Holztische zuteilt. »Warte am besten genau hier.« Zwei der Brillen stehen exponiert mit den beiden unterschiedlichen Kopfhalterungen in der Mitte des Tisches. Rundherum die neuesten iPad-Modelle, auf denen die verschiedenen Spezifikationen der Vision Pro zum Auswählen und Durchschauen angezeigt werden. Vorne auf dem äußeren Display der Brille changiert es in Blau und Magenta.
»Ich suche einen Jakob«, sagt eine Apple-Mitarbeiterin. Die andere Person, die mit mir gewartet hat und aufgerufen wurde, und ich folgen ihr die gläserne Wendeltreppe in den ersten Stock des Geschäfts hinauf. »Seid ihr schon aufgeregt?«, fragt sie. »Eher gespannt«, entgegne ich. Die Person neben mir bleibt verhalten. »Ich übergebe dich jetzt direkt an meine Kollegin, Jakob.« Sara nimmt sich meiner an und wir setzen uns zusammen auf Bänke, die App-förmig angeordnet sind. Es wird geduzt. Um uns herum sitzen andere Menschen mit den Brillen auf dem Kopf, immer in Begleitung einer Apple-Mitarbeiter:in. Manche bewegen ihre Hände mehr, manche weniger. Sara sitzt mit einem iPad-Mini neben mir und hat dort Infos über unseren Termin vor sich. Ich muss einen QR-Code scannen und die Apple Store-App meines iPhones öffnet sich. Ich werde aufgefordert mein Gesicht mittels Face ID-Sensor zu scannen. »Damit wir den richtigen Gesichtseinsatz in der Vision Pro haben.« Jetzt bittet sie mich um meine Brille und lässt von einem Gerät, das schwer nach Fielmann aussieht, meine Sehstärke auslesen. »Ich darf deine Sehstärke nicht sehen, ich habe hier nur einen QR-Code, den ich an meine Kolleg:innen weiterschicke.« Sie fügt mit leicht ironischem Unterton hinzu: »Apple und Datenschutz.« Es dauert nicht lange und ein Mitarbeiter kommt mit einem hölzernen Tablett aus einer Tür. Er stellt das Gerät feierlich zwischen uns ab und verschwindet wieder. Sara hebt die Brille an, entfernt den textilen Schutz des Glases und die glänzende, abgerundete Front mit den vielen Kameras offenbart sich uns. »Jetzt kannst du sie aufsetzen.« Sie erklärt mir, wie ich die Brille am besten greife. Ich ziehe sie auf und an zwei Punkten am Kopf fest. »Jetzt fährt sie hoch.« Der Apfel erscheint. Ich muss ein paar Mal die »Crown«, das Drehrad an der Brille, drücken und meine Hände vor mich in die Luft halten. Die Umgebung erscheint ausgegraut, aber dreidimensional vor mir. Ich bin überrascht, wie eng das Sichtfeld ist. Ähnlich einer Taucherbrille. »Der Mauszeiger sind quasi deine Augen. Es wird der Punkt ausgewählt, den du anschaust. Dann bestätigst du, indem du ganz entspannt Zeigefinger und Daumen aufeinander tippst.« Ich klicke mich durch ein Kalibrierungsmenü, in dem Punkte kreisförmig vor mir im Raum angeordnet sind. Sie werden durch Anschauen und die neugelernte Fingergeste aktiviert. »Jetzt müssen wir noch deine optischen Einsätze mit der Vision Pro teilen.« Sara hält mir mit ihrem iPad einen QR-Code hin, auf den ich schauen soll. Irgendetwas stimmt nicht. Die Brille hängt sich auf und die Umgebung bleibt ausgegraut. Trotzdem kann ich den Kopf bewegen und um mich herumschauen. »Das ist noch nie passiert.« entgegnet Sara. Wir starten die Brille neu und ich navigiere mich erneut durch die Kalibrierung. Diesmal klappt das Scannen des Codes und die optischen Einsätze werden vom Eyetracking der Brille berücksichtigt. Ich meine zu merken, dass die räumliche Wahrnehmung jetzt besser ist als vorher. »So, dann können wir ja anfangen. Möchtest du lieber die Unterhaltungsmöglichkeiten der Vision Pro kennenlernen oder die Produktivitätsmöglichkeiten?« Ich hadere kurz und entscheide mich für die Unterhaltungsmöglichkeiten. »Dreh jetzt mal an der Crown.« Der Raum wird ausgeblendet und ich stehe in einer weiten Berglandschaft. Je länger ich an der Crown drehe, desto mehr verschwindet der Apple Store um mich herum. Ich rufe das Menü auf und wechsle den Hintergrund. Jetzt stehe ich auf dem Mond. In der schwarzen Ferne leuchtet die Erde ganz klein über mir. »Jetzt dreh mal wieder zurück.« Die Gegendrehung der Crown zieht mich wieder in den Apple Store. »Atemberaubend, oder?«, fragt Sara. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Im nächsten Moment bin ich in einem Kino und schaue mir auf einer überdimensionalen Leinwand – merkwürdig allein im dunklen, dreidimensionalen Raum – den Trailer einer kommenden Apple TV+-Produktion an. Immer wieder, wenn Sara mit mir spricht, bemerke ich, dass ihr Gesicht leicht eingeblendet wird. Auch das Konterfei eines Kunden, der irgendwo weiter hinten ein Beratungsgespräch hat, wird immer wieder eingeblendet. Ich konstatiere das und Sara entgegnet: »Ja, das hat Apple bewusst so gemacht, damit die Leute nicht komplett aufgesogen werden von der Immersion.« Ich frage mich, ob das so in ihrem Phrasenbuch steht. Generell stelle ich fest, dass die Apple-typischen Phrasen in unserem begleitenden Gespräch immer wieder mit ihrer Offenheit und lockeren Kommunikation kollidieren.
»So, jetzt schauen wir uns die Fotos-App an.« Das Menü mit den runden Apps ploppt vor mir auf, ich schaue auf das App-Icon und tippe Zeigefinger und Daumen aufeinander. Alles funktioniert erschreckend intuitiv und nahtlos. Sara sagt mir, wo ich hinschauen soll und was ich anklicken soll. Sie sieht auf ihrem iPad, was ich sehe. Plötzlich sitze ich vor einem Geburtstagskuchen und meine Apple-typische, sehr diverse Familie sitzt im Kreis um mich herum und gratuliert zum Geburtstag. Eine Torte steht direkt vor mir und die Kerzen flackern leicht. Ich bekomme direkt den Impuls sie auszupusten. Ich muss vor Überforderung ein bisschen lachen: »Oh Mann, das ist richtig uncanny.« Es ist fast unangenehm, wie realistisch sich die Situation anfühlt und wie reflexhaft ich auf die Umgebung reagiere, die ich vor mir sehe. Mein Körper scheint nicht zu verstehen, dass es sich um eine virtuelle Darstellung handelt, bis zu dem Moment, als ich versuche mit dem Inhalt zu interagieren. Wir klicken uns noch durch weitere dreidimensionale Bilder und Videos, die teilweise mit der Vision Pro und teilweise mit der iPhone-Kamera erstellt wurden. Die mit dem iPhone aufgenommenen räumlichen Videos sehen allerdings eher schwach aus im Vergleich zu den mit der Vision Pro aufgenommenen Inhalten. Als nächstes rufen wir ein Spiel auf. Mir fällt auf, wie absurd es ist, dass alle Inhalte in dem dreidimensionalen Raum vor mir zweidimensional dargestellt werden. Ich sehe räumlich, aber das Interface ist – bis auf ein paar Tiefeneffekte – flach. Wie wir es von Computerbildschirmen der letzten Dekaden gewöhnt sind. Man kann zwar mehrere Fenster gleichzeitig im Raum anordnen und frei verschieben, trotzdem frage ich mich, wie wohl dreidimensionale Interfaces in Zukunft aussehen werden. Wird es virtuelle Knöpfe geben? Oberflächen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, weil sie weder aussehen wie analoge noch wie bildschirmgebundene, digitale Bedienelemente? »Spacial Computing«, wie Apple die zukünftige Technologie für sich labelt.
»So, jetzt sind wir mit dem Hauptteil durch, hast du noch irgendwelche spezifischen Fragen zur Vision Pro?« Ich verneine. »Dann kommen wir jetzt zum großen Finale! Geh dafür bitte nochmal in die TV-App.« Das mache ich und höre noch in der Ferne Sara sagen: »Viel Spaß.« Dann stehe ich plötzlich mit einer Frau auf einem Seil zwischen zwei Bergspitzen. Es ist extrem still. Auf einmal sitze ich in der Savanne mit einer anderen Frau, die ein Nashornbaby knuddelt. Die Schnitte werden schneller. Verschiedene Sportarten. Basketball. Fußball. Dinosaurier. Ich bin direkt über einem Fußballtor und alles ist ungewohnt räumlich. Der Ball fliegt direkt vor mir ins Tor, die Menschen drumherum jubeln. Der Klang funktioniert, der Raum funktioniert. Als ob nur noch der Geruch und meine eigene physische Präsenz fehlen würden. Ich stehe wieder auf dem Seil zwischen den Bergspitzen mit der Frau in Klettermontur. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt vom Seil. Es wird schwarz. Stille. Alicia Keys steht in einem Tonstudio vor mir, schaut mich an und singt ein Lied direkt in meine Augen. Hier wird es wieder gruselig, uncanny. Ich kann sogar den Kopf bewegen und im Raum umherschauen. Ich kann ihre Körpergröße einschätzen und wie groß das Studio um uns herum ist. Facetten dreidimensionaler Wahrnehmung, die wir aus unserer Gewöhnung an zweidimensionale Videoformate nicht kennen.
Ich nehme die Vision Pro ab. Später fällt mir auf, dass es keine Gelegenheit gab, das durchdesignte physische Objekt »Apple Vision Pro«, länger in die Hand zu nehmen und zu betrachten. Das einzige, das mir haptisch in Erinnerung geblieben ist: das Gewicht.
»Möchtest du sie gleich mitnehmen? Wir haben alle Ausführungen da.« Ich bedanke mich für die freundliche Demo und lehne den Kauf der 4000 Euro teuren Vorschau auf die vermeintliche Zukunft dankend ab.
Ich steige die Treppen der gläsernen Kathedrale hinab, laufe zur Pforte, vorbei an all den Devotionalien und frage mich, ob meine Verbindung zum irdischen Leben durch diese Erfahrung erschüttert wurde.
BODY OF KNOWLEDGE
Jakob Nonnen ist Fotograf und Designer. Er wurde 1993 in Südhessen geboren und studierte Kommunikationsdesign (Diplom) in Darmstadt und Venedig. Aktuell macht er seinen Masterabschluss an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle in „Visual Strategies and Stories.“ Neben dem Studium ist er als freier Fotograf und Gestalter tätig. Lehrerfahrung sammelte er als Dozent und mit Kreativ-Workshops. Derzeit arbeitet er an seinem Masterprojekt über die Gigafactory von Tesla in Brandenburg.
→ jakobnonnen.de
Offizielles von Apple
Die Apple Vision Pro vereint digitale Inhalte nahtlos mit deiner Umgebung. So kannst du arbeiten, Filme sehen, Erinnerungen erleben und dich auf völlig neue Art mit anderen verbinden. Willkommen in der Ära des räumlichen Computings
→ www.apple.com/de/apple-vision-pro
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Nachdem ich Jakobs Text gelesen habe, bin ich natürlich neugierig geworden. Also habe ich mir einen Termin im Apple Store in Köln organisiert, um das Wunder mit eigenen Augen zu schauen. Fazit: der aufgeklebte Hygieneschutz an der Brille hat ein gutes Büschel Haare aus meinem Pony gerissen, ich habe mich in der hyper-freundlich und sleeken Apple Store Experience irre deplatziert gefühlt und ich hatte echt kein Bock in der Demo die Deppin mit der Brille auf zu sein, die die Hand ins Nichts ausstreckt, weil sie denkst, sie “streichelt einen Dino” – und zu guter letzte ist die Brille auch einfach so schwer, dass ich mich niemals für 3h Dune ins virtuelle Kino setzten würde. Apple hat es bei mir geschafft die Experience in der physischen Welt so zu vergeigen, dass es mir extra schwer fällt, von der virtuellen beeindruckt zu sein. Aber in Sachen Bedienung hat Apple ohne Frage Maßstäbe für alle anderen Hersteller gesetzt: keine Controller mehr, dafür ein Haufen kleiner kluger Kniffe in der UX. Die hauen einen vielleicht nicht so vom Hocker wie das Versprechen der Immersion, aber liefern zumindest einen Anlass für die Hoffnung, dass VR in Zukunft tatsächlich lässig werden könnte.
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