Interview mit Prof. Dr. Daniel Hornuff
Fünf Fragen zu Designmanifesten
Fragen: Carl Friedrich Then, Sabeth Wiese, Franziska Porsch
JUN 2022
Manifeste werden ihren Reiz wahrscheinlich nie verlieren, auch wenn ihr Image ein zwiespältiges ist. Sie sind wichtig, weil das Design Positionen und Haltungen als Orientierungspunkte braucht, doch folgen den Worten nicht immer Taten, worunter ihre Glaubwürdigkeit leidet.
Daniel Hornuff, Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule Kassel, hat trotzdem oder gerade deswegen im Wintersemester 21/22 ein Seminar zum Thema Manifeste angeboten. Wir haben ihm fünf Fragen zu Anlass und Reaktionen gestellt.
409: Warum überhaupt haben Sie Manifeste zum Thema eines Seminars gemacht? Ist das Format Manifest noch zeitgemäß?
Daniel Hornuff: Manifeste halte ich für ein zu wenig beachtetes Medium der Designgeschichte. Zahlreiche Designer*innen haben sich über Manifeste oder manifestartige Stellungnahmen geäußert. Sie nutzten diese Textgattung, um ihr jeweiliges Verständnis von Design zu entwickeln, zu propagieren und damit zu positionieren. Oft koppelten sich daran Avantgardeansprüche. Designmanifeste, denke ich, sind heute nicht verschwunden, sie haben allerdings ihre Form verändert: Wer beobachtet, wie sich Designer*innen in und über die Sozialen Medien äußern, wird in vielen dieser Posts ein Nachleben der Manifest-Tradition entdecken können.
409: Wie haben Ihre Studierenden darauf reagiert?
Daniel Hornuff: Gemischt. Einerseits herrschte Neugier, sich mit einem für junge Designer*innen eher ungewohnten Medium zu beschäftigen. Das führte sogar dazu, dass sowohl während als auch im Nachgang des Seminars eigene Manifeste geschrieben wurden. Andererseits herrschte vor allem gegenüber älteren Manifesten Skepsis. Ich hatte mir als Ziel gesetzt, zu zeigen, wie sehr Kunst- und Designmanifeste historisch miteinander verwoben sind. Doch eine solche Diskussion war nur schwer möglich, da es erhebliche Einsprüche gegenüber den Forderungen und Polemiken der frühen Manifeste gab. Im Rückblick würde ich diesen Punkt anders aufbauen – und noch stärker auf die historischen Kontexte eingehen, innerhalb derer Manifeste geschrieben wurden.
409: Gibt es ein Format, welches das Manifest ersetzt hat?
Daniel Hornuff: Ich würde nicht von einem Ersetzen sprechen, sondern einen Formwandel diagnostizieren. Instagram scheint mir eines jener Medienformate zu sein, auf dem sich weltweit tausende Designer*innen präsentieren und vernetzen. Indem sie sich und ihre Entwürfe und Arbeiten dort zeigen, setzen viele von ihnen auf Kommunikation und Austausch – also auf etwas, dass im reinen Textmanifest nicht vorgesehen ist. Dennoch enthalten sehr viele Design-Posts manifestartige Elemente: Mal soll eine neue Formidee durchgesetzt werden, ein anderes Mal geht es um die Darstellung des eigenen Designverständnisses, und in einem dritten Fall werden Bekenntnisse zu nachhaltiger Produktion und fairen Arbeitsbedingungen gepostet. Jeweils wird also eine ästhetische, soziale oder politische Positionierung vorgenommen – und damit fortgeführt, was Manifeste schon immer leisten sollten.
409: Welches Manifest finden Sie respektive ihre Studierenden bemerkenswert? Und warum?
Daniel Hornuff: Besonders ausführlich diskutierten wir über die sogenannte „Ahmedabad Declaration on Industrial Design for Development“ – ein Text, der aus nicht-westlicher Perspektive und vor dem Hintergrund einer spezifischen historischen Situation für die Anerkennung des Industriedesigns eintritt und dessen gezielte Förderung verlangt. Der Text bricht mit einigen Erwartungen, die man aus europäischer Perspektive an ein Design-Manifest haben könnte, gerade weil er keine Manifest-Stereotype enthält.
409: Any last words?
Daniel Hornuff: So selbstgewiss und breitbeinig Manifeste auch auftreten – es ist immer ihr Kontext, der über ihre Rolle entscheidet.
BODY OF KNOWLEDGE
"The Meeting for the Promotion of Industrial Design in Developing Countries convened by the United Nations Indus- trial Development Organization (UNIDO) in close cooperation with the International Council of Societies of Industrial Design (ICSID) and the Indian National Institute of Design in January 1979, in line with the Lima Declaration and Plan of Action and in pursuance of the Memorandum of Understanding signed between UNIDO and ICSID on April 26,1977 to accelerate jointly industrial design activities in developing countries in order to satisfy the urgent needs in this field, and to carry out as extensively as possible the promotional activities necessary to alert developing countries to the advantage of including industrial design in their planning processes, ..."
Eine umfangreiche Sammlung an Designmanifesten findet sich hier:
→ designmanifestos.org

Interview mit Prof. Dr. Daniel Hornuff
Fünf Fragen zu Manifesten im Design
Fragen: Carl Friedrich Then, Sabeth Wiese, Franziska Porsch
JUN 2022
Manifeste werden ihren Reiz wahrscheinlich nie verlieren, auch wenn ihr Image ein zwiespältiges ist. Sie sind wichtig, weil das Design Positionen und Haltungen als Orientierungspunkte braucht, doch folgen den Worten nicht immer Taten, worunter ihre Glaubwürdigkeit leidet.
Daniel Hornuff, Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule Kassel, hat trotzdem oder gerade deswegen im Wintersemester 21/22 ein Seminar zum Thema Manifeste angeboten. Wir haben ihm fünf Fragen zu Anlass und Reaktionen gestellt.
409: Warum überhaupt haben Sie Manifeste zum Thema eines Seminars gemacht? Ist das Format Manifest noch zeitgemäß?
Daniel Hornuff: Manifeste halte ich für ein zu wenig beachtetes Medium der Designgeschichte. Zahlreiche Designer*innen haben sich über Manifeste oder manifestartige Stellungnahmen geäußert. Sie nutzten diese Textgattung, um ihr jeweiliges Verständnis von Design zu entwickeln, zu propagieren und damit zu positionieren. Oft koppelten sich daran Avantgardeansprüche. Designmanifeste, denke ich, sind heute nicht verschwunden, sie haben allerdings ihre Form verändert: Wer beobachtet, wie sich Designer*innen in und über die Sozialen Medien äußern, wird in vielen dieser Posts ein Nachleben der Manifest-Tradition entdecken können.
409: Wie haben Ihre Studierenden darauf reagiert?
Daniel Hornuff: Gemischt. Einerseits herrschte Neugier, sich mit einem für junge Designer*innen eher ungewohnten Medium zu beschäftigen. Das führte sogar dazu, dass sowohl während als auch im Nachgang des Seminars eigene Manifeste geschrieben wurden. Andererseits herrschte vor allem gegenüber älteren Manifesten Skepsis. Ich hatte mir als Ziel gesetzt, zu zeigen, wie sehr Kunst- und Designmanifeste historisch miteinander verwoben sind. Doch eine solche Diskussion war nur schwer möglich, da es erhebliche Einsprüche gegenüber den Forderungen und Polemiken der frühen Manifeste gab. Im Rückblick würde ich diesen Punkt anders aufbauen – und noch stärker auf die historischen Kontexte eingehen, innerhalb derer Manifeste geschrieben wurden.
409: Gibt es ein Format, welches das Manifest ersetzt hat?
Daniel Hornuff: Ich würde nicht von einem Ersetzen sprechen, sondern einen Formwandel diagnostizieren. Instagram scheint mir eines jener Medienformate zu sein, auf dem sich weltweit tausende Designer*innen präsentieren und vernetzen. Indem sie sich und ihre Entwürfe und Arbeiten dort zeigen, setzen viele von ihnen auf Kommunikation und Austausch – also auf etwas, dass im reinen Textmanifest nicht vorgesehen ist. Dennoch enthalten sehr viele Design-Posts manifestartige Elemente: Mal soll eine neue Formidee durchgesetzt werden, ein anderes Mal geht es um die Darstellung des eigenen Designverständnisses, und in einem dritten Fall werden Bekenntnisse zu nachhaltiger Produktion und fairen Arbeitsbedingungen gepostet. Jeweils wird also eine ästhetische, soziale oder politische Positionierung vorgenommen – und damit fortgeführt, was Manifeste schon immer leisten sollten.
409: Welches Manifest finden Sie respektive ihre Studierenden bemerkenswert? Und warum?
Daniel Hornuff: Besonders ausführlich diskutierten wir über die sogenannte „Ahmedabad Declaration on Industrial Design for Development“ – ein Text, der aus nicht-westlicher Perspektive und vor dem Hintergrund einer spezifischen historischen Situation für die Anerkennung des Industriedesigns eintritt und dessen gezielte Förderung verlangt. Der Text bricht mit einigen Erwartungen, die man aus europäischer Perspektive an ein Design-Manifest haben könnte, gerade weil er keine Manifest-Stereotype enthält.
409: Any last words?
Daniel Hornuff: So selbstgewiss und breitbeinig Manifeste auch auftreten – es ist immer ihr Kontext, der über ihre Rolle entscheidet.
BODY OF KNOWLEDGE
"The Meeting for the Promotion of Industrial Design in Developing Countries convened by the United Nations Indus- trial Development Organization (UNIDO) in close cooperation with the International Council of Societies of Industrial Design (ICSID) and the Indian National Institute of Design in January 1979, in line with the Lima Declaration and Plan of Action and in pursuance of the Memorandum of Understanding signed between UNIDO and ICSID on April 26,1977 to accelerate jointly industrial design activities in developing countries in order to satisfy the urgent needs in this field, and to carry out as extensively as possible the promotional activities necessary to alert developing countries to the advantage of including industrial design in their planning processes, ..."
Eine umfangreiche Sammlung an Designmanifesten findet sich hier:
→ designmanifestos.org

        ABOUT US   GESTALT ERROR 409
        PROJEKT   Präzision egal, strategisch klingt halt geil. Ein Mini-Glossar   Sabeth Wiese
        PROJEKT   Auto Fiktion – eine Projekt-Dokumentation.   Jakob Nonnen
        ESSAY   Paternalistisches Design? – Wenn Nudging sozial wird   Niklas Jung
        ILLUSTRATION   In Design Limbo Pt.3   Mira Schleinig
        BEOBACHTUNG   Erfahrungsbericht VW in Wolfsburg   409
        USE   »Atemberaubend, oder?« Eine Apple Vision Pro Rezension   Jakob Nonnen
        ESSAY   Extended Creativity: a Human Centered Approach to Working with AI   Felix Dölker
        USE   The Curious Case of the TrackPoint   ChatGPT & Sabeth Wiese
        INTERVIEW   Fünf Fragen zu Bibliothekspflanzen   Anne Christensen
        INTERVIEW   Über Theorie und Praxis   Prof. Dr. Felix Kosok
        USE   Traumreise in die Unterwelt   Sabeth Wiese
        BEOBACHTUNG   Erfahrungsbericht Bauhaus Dessau   409
        INTERVIEW   Fünf Fragen zu Symbiosis – Living together   Carl F. Then
        INTERVIEW   Five Questions on the University of Brighton Design Archives   Sue Breakell
        READ   Backstage Talks Magazine   Sabeth Wiese
        ESSAY   Zu Design und Utopie. Ein essayistisches Plädoyer   Fabio Sacher
        PROJEKT   About Kreativbranche II: unglitched but shit   Sabeth Wiese
        PROJEKT   Scherben Sammeln? Mudlarking   Charlotte Bluhme
        INTERVIEW   Über die Grenzen des Designs   Constanze Buckenlei und Marco Kellhammer
        BEOBACHTUNG   Eva Illouz und die Wurzeln der Experience   Sabeth Wiese
        ESSAY   The Rise of Designforschung – Goodbye Autorendesign?   Carl F. Then
        USE   DB, warum lässt du mich so sitzen?   Sabeth Wiese
        ESSAY   Crypto Aesthetics   Johannes Wilke
        USE   Der geschenkte Wasserfilter   Franziska Porsch
        READ   Geschichte des Designs   Carl F. Then
        INTERVIEW   About Design at Olivetti   Pietro Cesari
        USE   Liebeserklärung an das Mono A   Sabeth Wiese
        BEOBACHTUNG   Erfahrungsbericht Vitra Campus   409
        INTERVIEW   Fünf Fragen zu Hans "Nick" Roerichts Archiv   Viktoria Lea Heinrich
        ESSAY   Gendered Embodiment through Designed Objects   Anis Anais Looalian
        BEOBACHTUNG   Inside BWL   Sabeth Wiese
        INTERVIEW   Fünf Fragen zu Designmanifesten   Prof. Dr. Daniel Hornuff
        ZITATE   Designliteratur in Zitaten   409
        PROJEKT   GELD GELD GELD   Sabeth Wiese
        ILLUSTRATION   In Design Limbo Pt.2   Mira Schleinig
        WATCH   Design is [messy]   Carl F. Then
        PROJEKT   Umwandlungen. Gestaltung mit einem Insekt   Simon Schmalhorst
        INTERVIEW   Über Designliteratur   Helge Aszmoneit
        READ   Wie eine Person zu einem Nutzer wurde   Franziska Porsch
        PROJEKT   Glitched about Kreativbranche   Sabeth Wiese
        ILLLUSTRATION   In Design Limbo Pt.1   Mira Schleinig
        READ   Artificial Intelligence. A Guide for Thinking Humans   Carl F. Then
         INFO   Newsletter
        INFO   Datenschutz
        INFO   Impressum